Die Prinzen von Amber
die dritte ...
Kühl, weich, so fühlte sich die vierte Stufe an. Doch schien sie dem Druck meiner Hand noch nachzugeben.
»Fast ist es soweit«, sagte ich zu Benedict. »Ich werde die Treppe ausprobieren. Halte dich bereit.«
Er nickte.
Ich betrat die Stufen, eins, zwei, drei. Dann hob ich den Fuß und stellte ihn auf die gespenstische vierte Stufe. Sie gab unter meinem Gewicht allmählich nach. Ich hatte Angst, den anderen Fuß zu heben und wartete, während ich den Mond beobachtete. Ich atmete die kühle Nachtluft, während die Helligkeit zunahm, während der Lichtstreifen auf dem Wasser breiter wurde. Hoch über mir verlor Tir-na Nog´th etwas von seiner Durchsichtigkeit. Die Sterne dahinter schimmerten schwächer. Während dies geschah, wurde die Stufe unter meinem Fuß fester; sie verlor ihre Elastizität. Ich hatte das Gefühl, daß sie mein Gewicht nun tragen würde. Ich suchte die Treppe mit den Blicken ab und überschaute sie von Anfang bis Ende, hier matt-glasig, dort durchsichtig und funkelnd, doch komplett bis zur stillen Stadt, die über dem Meer schwebte. Ich hob den anderen Fuß und stellte mich auf die vierte Stufe. Hätte ich gewollt, würden mich weitere Schritte auf dieser himmlischen Treppe an einen Ort Wirklichkeit gewordener Träume, wandelnder Neurosen und zweifelhafter Prophezeiungen getragen haben, in eine mondhelle Stadt, in der mancher zwiespältige Wunsch erfüllt wurde, in der sich die Zeit verdreht und bleiche Schönheit herrschte. Ich blieb stehen und blickte zum Mond empor, der nun auf dem feuchten Rand der Welt schwebte. Im silbrigen Licht wandte ich mich wieder Benedict zu.
»Die Treppe ist fest, der Mond steht am Himmel«, sagte ich.
»Na schön. Ich gehe.«
Ich beobachtete ihn, wie er da in der Mitte des Musters stand. Er hob mit der linken Hand die Laterne und stand einen Augenblick lang reglos da. Gleich darauf war er verschwunden – und mit ihm das Muster. Eine Sekunde später stand er in einem ähnlichen Saal, jetzt außerhalb des Musters, dicht neben dem Punkt, wo die Linien begannen. Er hob die Laterne über den Kopf und sah sich um. Er war allein.
Er machte kehrt, ging zur Wand, stellte die Laterne ab. Sein Schatten reckte sich dem Muster entgegen und veränderte die Form, als Benedict auf dem Absatz kehrtmachte und die ursprüngliche Position wieder einnahm.
Ich stellte fest, daß das Muster hier in einem helleren Licht glühte als die Zeichnung in Amber – hier war das Licht silbrigweiß und ließ den vertrauten bläulichen Schimmer vermissen. Die eigentliche Linienführung war identisch, doch spielte die Geisterstadt ihre Tricks mit der Perspektive. Ich sah Verzerrungen, Verengungen und Erweiterungen, die über die Oberfläche des Musters zu wogen schienen, als sähe ich das ganze Gebilde nicht durch Benedicts Trumpf, sondern durch eine unregelmäßig geschliffene Brille.
Ich stieg die Steinstufen herab und setzte mich wieder auf den untersten Vorsprung. Von hier beobachtete ich weiter.
Benedict lockerte seine Klinge in der Scheide.
»Du kennst die mögliche Auswirkung von Blut auf das Muster?« fragte ich.
»Ja. Ganelon hat mir davon erzählt.«
»Hast du all diese Dinge vermutet?«
»Ich habe Brand nie getraut«, sagte er.
»Was war mit deiner Reise zu den Höfen des Chaos? Was hast du erfahren?«
»Später, Corwin. Er kann jetzt jeden Augenblick kommen.«
»Ich hoffe, daß sich keine störenden Visionen einstellen«, sagte ich und dachte an meine eigene Reise nach Tirna Nog´th und an seine Rolle dabei.
Er zuckte die Achseln.
»Wenn man zu sehr darauf achtet, verstärkt man sie nur noch. Meine Aufmerksamkeit gilt heute abend nur einer Sache.«
Er drehte sich einmal um sich selbst und betrachtete jeden Teil des Raums, verharrte schließlich wieder reglos.
»Ob er wohl weiß, daß du hier bist?« fragte ich.
»Mag sein. Das ist auch unerheblich.«
Ich nickte. Wenn sich Brand nicht sehen ließ, hatten wir einen Tag gewonnen. Die Wächter kümmerten sich um die anderen Muster, und Fiona hatte Gelegenheit, ihre eigene magische Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen, indem sie Brand für uns aufspürte. Dann konnten wir ihn verfolgen. Sie und Bleys hatten ihn schon einmal bezwingen können. Schaffte sie es jetzt allein? Oder mußten wir Bleys finden und ihn überreden, uns zu helfen? Oder hatte Brand Bleys gefunden? Wozu wünschte sich Brand überhaupt diese Art von Macht? Ein Streben nach dem Thron, das konnte ich noch verstehen ... Aber das
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