Die Prinzen von Amber
zurück, was den Schluß nahelegte, daß ich nun etwa fünf Monate hier im Kerker war.
Ich streckte die letzte Packung, genoß jede einzelne Zigarette wie das Zusammensein mit einer Frau. Als ich die letzte Zigarette aufgeraucht hatte, war ich deprimiert.
Inzwischen mußte ziemlich viel Zeit vergangen sein.
Ich begann mir Gedanken über Eric zu machen. Wie stellte er sich als Herrscher an? Mit welchen Problemen schlug er sich herum? Was führte er im Schilde? Warum war er nicht gekommen, um mich zu quälen? War es möglich, daß man mich in Amber wirklich vergaß – auch wenn es vom Herrscher so angeordnet wurde?
Nein, sagte ich mir.
Und was war mit meinen Brüdern? Warum hatte sich keiner von ihnen mit mir in Verbindung gesetzt? Es wäre ganz einfach gewesen, meinen Trumpf zu ziehen und Erics Verbot zu brechen.
Doch niemand tat diesen Schritt.
Ich dachte lange an Moire, die letzte Frau, die ich geliebt hatte. Was tat sie in diesem Augenblick? Dachte sie überhaupt noch an mich? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht war sie längst Erics Geliebte oder gar seine Königin. Hatte sie mich ihm gegenüber erwähnt? Wahrscheinlich nicht.
Und meine Schwestern? Vergiß sie. Hexen, sie alle.
Ich war schon einmal geblendet worden, von einem Kanonenblitz im achtzehnten Jahrhundert auf der Schatten-Erde. Der Zustand hatte aber nur etwa einen Monat gedauert, danach hatte ich wieder sehen können. Mit seinem Befehl hatte Eric allerdings eine dauerhaftere Regelung im Sinne gehabt. Noch immer hatte ich Schweißausbrüche und zitterte, erwachte zuweilen von meinem eigenen Geschrei, sobald mich die Erinnerung heimsuchte an die weißglühenden Eisen vor meinen Augen – und dann die Berührung, als sie mir die sonnenhellen Spitzen in die Augenhöhlen stießen.
Ich stöhnte leise auf und setzte meinen Weg fort.
Ich konnte überhaupt nichts unternehmen. Das war das Schlimmste an der ganzen Sache. Ich war so hilflos wie ein Embryo. Wiedergeboren zu werden in Licht und Zorn – dafür hätte ich meine Seele verschenkt. Und wenn es nur für eine Stunde gewesen wäre, mit der Klinge in der Hand, um mich noch einmal gegen meinen Bruder zu stellen.
Ich legte mich auf die Matratze und schlief. Als ich wieder erwachte, standen Lebensmittel vor mir, und ich aß und schritt wieder auf und ab. Finger- und Zehennägel hatte ich wachsen lassen. Mein Bart war inzwischen sehr lang, und das Haar fiel mir ständig ins Gesicht. Ich fühlte mich unbeschreiblich schmutzig und mußte mich andauernd kratzen. Ich fragte mich, ob ich Flöhe hatte.
Daß ein Prinz von Amber in diesen Zustand versetzt werden konnte, erweckte eine schreckliche Emotion im Kern meines Wesens, wo immer der liegen mag. Ich war in dem Glauben aufgezogen worden, wir seien unbesiegbar – sauber, nüchtern und diamanthart wie unsere Bilder auf den Trümpfen. Offensichtlich war dies nicht der Fall.
Wenigstens waren wir soweit menschenähnlich, daß wir eine gewisse Findigkeit unser eigen nannten.
Ich erdachte Spiele, erzählte mir Geschichten, ließ mir angenehme Erinnerungen durch den Kopf gehen – von denen ich viele besaß. Ich erinnerte mich an die Elemente, Wind, Regen, Schnee, die Wärme des Sommers und die kühlen Böen des Frühlings. Auf der Schatten-Erde hatte ich ein kleines Flugzeug besessen, und das Gefühl des Fliegens war herrlich gewesen. Ich dachte an die schimmernden Panoramen aus Farbe und Tiefe, die Miniaturisierung der Städte, die blaue Unendlichkeit des Himmels, die Herden von Wolken (wo waren sie jetzt?) und an die saubere Weite des Ozeans unter den Tragflächen. Ich erinnerte mich an Frauen, die ich geliebt hatte, an Parties und militärische Aktionen. Und wenn ich mit allem durch war und nicht mehr anders konnte, dachte ich an Amber.
Und während ich einmal daran dachte, begannen meine Tränendrüsen wieder zu funktionieren. Ich weinte.
Nach einer unendlichen Zeit, einer Zeit voller Dunkelheit und unbestimmbaren Schlafperioden, vernahm ich Schritte, die vor meiner Zellentür verhielten, und ich hörte, wie ein Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde.
Reins Besuch lag so weit zurück, daß ich den Geschmack des Weins und der Zigaretten vergessen hatte. Ich vermochte die Zeitspanne nicht abzuschätzen – jedenfalls war eine lange Zeit vergangen.
Zwei Männer befanden sich auf dem Korridor, das vermochte ich den Schritten zu entnehmen, ehe sie etwas sagten.
Eine der Stimmen kannte ich.
Die Tür ging auf, und Julian nannte meinen Namen.
Ich
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