Die Prinzen Von Irland
Fionnuala her. Sie wollte sie mit Gewalt zur Vernunft
bringen. Nie zuvor war ihr so etwas passiert. Sie vergaß König Diarmait,
Strongbow und sogar ihren Vater. Sie vergaß alle.
Sie rannten in
Richtung Christ Church, dann links an den Buden der Pelzhändler vorbei und quer
durch die Stadt auf den Markt zu. Fionnuala lief immer schneller, doch Una gab nicht
auf. Sie war zwar kleiner als Fionnuala, doch sie zählte auf ihre größere
Kraft. Wenn ich ihr erst einmal eine kräftige Tracht Prügel verpasst habe,
werde ich sie ins Hospiz zurückzerren – und wenn es sein muss, an den Haaren,
dachte sie. Dann fiel ihr ein, dass das Westtor geschlossen sein könnte. Sie
kann froh sein, wenn ich sie nicht über die Mauer werfe, dachte sie grimmig.
Sie sah Fionnuala auf den Marktplatz rennen. Die Stände
waren geschlossen. Einen Moment später war Fionnuala verschwunden, aber Una
wusste, dass sie sich irgendwo versteckt haben musste. Sie würde sie finden.
Dann blieb Una
stehen. Was tat sie hier eigentlich? Es war gut und schön, dass sie sich über
Fionnuala und die Kranken im Hospiz aufregte, aber was war mit ihrer Familie?
Sollte sie nicht an der Stadtmauer Ausschau halten? Sie verfluchte Fionnuala
und kehrte um.
Erst als sie etwa
hundert Yards die Straße entlanggelaufen war, drang der Lärm an ihr Ohr. Sie
hörte Rufe, lautes Getöse, noch mehr Rufe. Menschen rannten ihr entgegen. Dann hörte
sie auf einmal hinten vom Marktplatz Lärm, und gleich darauf tauchte ein halbes
Dutzend Ritter in Kettenhemden auf. Sie mussten durch das Westtor eingedrungen
sein. Waffenmänner folgten ihnen. Una wusste, Fionnuala war dort irgendwo, und
einen Moment meinte sie, unbedingt zurücklaufen und ihre Freundin retten zu
müssen; doch dann erkannte sie, wie sinnlos das wäre. Wenn sie sich vor mir
verstecken kann, dachte sie, dann kann sie sich auch vor ihnen verstecken.
Jetzt sah sie berittene Soldaten vor sich. Sie musste zurück zu ihrer Familie
und verschwand in einer schmalen Gasse.
Ihre Familie
erwartete sie ängstlich am Tor. Zum Glück waren die Engländer noch nicht diesen
Weg entlanggekommen. Sie hatte sich auf Vorwürfe gefasst gemacht, dass sie so lange
fortgeblieben war, doch ihr Vater schien nur erleichtert, sie zu sehen.
»Wir wissen, was
geschehen ist«, sagte ihre Mutter. »Diese verfluchten Engländer. Am Südtor
sprechen sie mit dem Erzbischof, und gleichzeitig durchbrechen sie das Ost– und
das Westtor. Eine Schande ist das.«
»Wir gehen zum Quai«,
sagte Kevin MacGowan. Una fiel auf, dass ihr Vater nicht die Kassette in der
Hand hielt. »DieKathedrale ist bereits umzingelt«, erklärte
er. »Und ich wage es nicht, sie jetzt durch die Straßen zu tragen. Darum habe
ich sie an ihrem üblichen Platz versteckt. Gebe Gott, dass sie niemand findet.«
Er zeigte auf einen Beutel, den er sich unters Hemd gebunden hatte. »Da ist
genug drin für unsere Reise.«
Die Engländer
strömten nun durch die Dubliner Stadttore, aber sie waren noch im oberen Teil
der Stadt. Die Leute liefen bereits in Scharen über die Brücke zu den Vororten
auf der Nordseite des Liffey, ohne jedoch zu wissen, ob sie dort vor den
Engländern sicherer wären. Am Quai machten die Kapitäne gute Geschäfte. Welch
ein Glück, dachte Una, dass an diesem Tag so viele Schiffe im Hafen lagen. Ein
norwegisches Schiff fuhr bereits auf den Fluss hinaus und würde wahrscheinlich
die Isle of Man oder die Inseln im Norden ansteuern. Ein Schiff war bereit,
nach Chester auszulaufen. Das wäre am nächsten, doch das Schiff war bereits
voll. Zwei weitere sollten nach Bristol ablegen, doch deren Kapitäne verlangten
überteuerte Fahrpreise. Ein anderes sollte nach Rouen in der Normandie segeln.
Ein französischer Händler, den MacGowan flüchtig kannte, ging gerade an Bord.
Der Preis war weniger hoch als nach Bristol. Der Silberschmied zögerte. Rouen
bedeutete eine längere, eine gefährlichere Reise. Außerdem sprach er kein
Französisch. Er schaute noch einmal zurück zum Schiff nach Bristol, doch die
Matrosen wiesen bereits Leute ab. Offensichtlich blieb ihnen keine andere Wahl.
Widerwillig stapfte er zum Schiff nach Rouen.
Er zahlte gerade beim
Schiffskapitän, als ein vertrautes Gesicht auftauchte. Ailred der Palmer
schritt am Quai entlang in Richtung Hospiz. Kaum hatte er MacGowan entdeckt, eilte
er rasch zu ihm.
»Ich bin froh, Euch
gesund zu sehen, Kevin«, sagte er. »Wohin fahrt Ihr?«
Schnell erklärte ihm
der Silberschmied die Situation und
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