Die Prinzen Von Irland
stand und elend in das stille
Dunkel sah, hatte sie die Gewissheit, dass die Kassette nicht da war. Sie war
zu spät gekommen. Die plündernden englischen Soldaten hatten sie gefunden, und
sie würde sie nie zurückbekommen. Ihr Vater hatte alles verloren, wofür er
jahrelang geschuftet hatte. Ihr Kopf sackte vornüber. Sie wollte weinen.
Was wäre gewesen,
wenn sie, statt dieser dummen Fionnuala hinterherzujagen, auf der Stadtmauer
Ausschau gehalten und den Angriff der Engländer beobachtet
hätte? Was wäre gewesen, wenn sie dann schnurstracks zu ihrem Vater gerannt
wäre? Hätte er dann nicht genügend Zeit gehabt, die Kassette sicher in die
Christ Church zu bringen? Oder zumindest hätte er sich, wäre sie eher nach
Hause gekommen, sicherer gefühlt und das Kästchen einfach mit zum Quai
genommen. Auch wenn ihr die Vernunft sagte, dass diese Vermutung falsch sein
konnte, sagte ihr Herz etwas anderes. Es ist meine Schuld. Sie stand vom
Schmerz so überwältigt in der stillen Leere ihres Elternhauses, dass sie die
Hand auf ihrer Schulter im ersten Moment nicht einmal spürte.
»Suchst du was?«
Die Stimme eines
Engländers! Una wirbelte herum. Eine Hand griff sofort nach ihrem Arm und
umklammerte ihn.
Ein nietenverzierter
Lederwams, eine schartige Schramme auf der rechten Seite. Ein Gesicht mit
dunklen Bartstoppeln, die einige Tage alt waren; eine große Nase,
blutunterlaufene Augen. Er war allein.
»Suchst du etwas, was
du stehlen könntest?« Sie verstand ihn nicht richtig. Er hielt ihr eine
Silbermünze vors Gesicht. Una war sich zwar nicht ganz sicher, aber sie sah
genauso aus wie die im Kästchen ihres Vaters. Er gluckste, als er die Münze
weglegte. Sie sah ein seltsames mildes Schimmern in seinen Augen. »Du hast mich
gefunden.«
Während er mit der
einen Hand ihren Arm festhielt, begann er mit der anderen, seinen Waffenrock zu
öffnen. Sie mochte vielleicht seine Worte nicht verstehen, doch an seinen Absichten
gab es keinen Zweifel. Sie wand sich, um freizukommen. Seine Hand war groß und
schwielig. Als er sie zurückstieß, spürte sie, mit welcher Leichtigkeit er es
tat, und ihr wurde klar, wie viel stärker er war. Nie zuvor hatte sie solche
Angst verspürt.
»Die Strafe für
Diebstahl ist viel schlimmer als das, was ich mit dir machen werde«, sagte er.
Er merkte, dass sie ihn nichtvollständig verstand, doch
das hinderte ihn nicht daran, weiterzureden. »Du kannst froh sein, ja, froh
sein, dass du mich bekommst.«
Una war so
erschrocken und verängstigt, dass sie bislang sogar vergessen hatte zu
schreien.
»Hilfe!«, schrie sie
nun so laut sie konnte. »Vergewaltigung!« Nichts geschah. Sie schrie wieder.
Den Soldaten schien
dies nicht zu stören. Sein Wams war nun offen.
Plötzlich wurde Una
bewusst, selbst wenn man sie hören sollte, würde niemand ihr Schreien beachten.
Wahrscheinlich waren alle Nachbarhäuser von englischen Soldaten besetzt, und
die würden sie nicht einmal verstehen. Una holte noch einmal tief Luft, um zu
schreien.
Und dann beging er
einen Fehler: Als er sein Wams auszog, ließ er einen Moment ihren Arm los. Es
war zwar nur ein Moment, doch mehr brauchte sie nicht. Er sah, wie sie ihren Mund
zum Schrei öffnete, doch er sah nicht, wie sie zutrat, bis es zu spät war. Sie
legte ihre ganze Kraft hinein. Er spürte plötzlich einen stechenden Schmerz in
seiner Leiste aufflammen. Er krümmte sich zusammen und hielt sich vor
Höllenpein die Hände vor den Leib.
Sie flüchtete. Ehe er
sich aufrichten konnte, war sie bereits durch das Tor hinausgestürmt. Sie
rannte die Straße entlang und wusste kaum, welchen Weg sie einschlug. Eine
Gruppe Soldaten stand ihr im Weg. Es sah so aus, als wollten die Männer sie
vorbeilassen. Da hörte sie seine Stimme in ihrem Rücken.
»Eine Diebin! Haltet
sie!«
Kräftige Arme hielten
sie fest. Sie versuchte, sich loszumachen, doch vergeblich. Der Soldat, der sie
bedroht hatte, kam nun die Straße entlang. Er hinkte, und sein Gesicht war
wutverzerrt. Sie wusste nicht, ob er noch einmal versuchen würde, sie zu
vergewaltigen, doch gewiss würde er es ihr heimzahlen.
Nun war er bei ihnen
angelangt. Er schob sein Gesicht vor ihres.
»Was ist hier los?«
Eine gebieterische Stimme hinter Una. Die Männer rückten auseinander.
»Dieses Mädchen ist
eine Diebin«, rief der Soldat. Una jedoch sah ein dunkles Gewand und schaute
auf.
Es war Vater
Gilpatrick, der die Frage gestellt hatte.
»Vergewaltigung.« Das
war alles, was Una herausbrachte.
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