Die Prinzen Von Irland
sah sie nie wieder.
Ein Jahr darauf hatte
er sich gefragt, ob sie womöglich gestorben sei. Das war die Zeit gewesen, als
der »schwarze Tod« in ganz Europa wütete und etwa ein Drittel der Bevölkerung
dahinraffte. Im August 1348 hatte die Pest auch Irlands Ostküste erreicht.
Durch Nachrichten von den Handelsschiffen, die in den
Hafen von Dublin einliefen, waren die Walshs vorgewarnt gewesen. Über einen
Monat lang hatte die Familie ihr Gut nicht verlassen. Während benachbarte Gehöfte
und der nahe gelegene Fischerort Dalkey befallen wurden, waren sie von der Pest
verschont geblieben.
Die Auswirkungen auf
die Region um Dublin waren beträchtlich. In der Stadt und in den Vorstädten
waren ganze Straßenzüge entvölkert. Die Kirche hatte auf ihren Ländereien
zahlreiche Lehensmänner verloren. Es herrschten Trostlosigkeit und Verwirrung
wie nach einem langen Krieg. Und so war es für die Familie Walsh wenig
überraschend, dass die O’Tooles und O’Byrnes, die die Kraftlosigkeit unten in
der Ebene witterten, von den Wicklow–Bergen herunterkamen, um zu sehen, welche
Überbleibsel sie an sich reißen könnten. Bestimmt gab es Vieh, das nur von
wenigen Männern gehütet wurde. »Schon bevor der heilige Patrick kam, haben sie sich
gegenseitig das Vieh geraubt«, erzählte Johns Vater gelassen. »Wir sollten also
nicht überrascht sein, wenn sie auch uns beehren.« Für ihn, seinen Vater, bot
die Vorstellung, überfallen zu werden, einen gewissen Nervenkitzel, der zum
Leben im Randgebiet dazu gehörte. Der Stellvertreter des englischen Königs in
Dublin vertrat jedoch eine andere Ansicht. Für ihn und die Bürger Dublins war
dies ein Anzeichen für Aufruhr, dem man mit Strenge entgegentreten müsste.
Festungen wurden gebraucht. Und so geschah es, dass die Burg von Carrickmines –
die seit Jahren in schlechtem Zustand war – in Stand gesetzt und verstärkt
wurde. Johns Vater wurde aufgefordert, sein Gehöft zu verlassen und das Amt
eines Kastellans zu übernehmen. »Wir brauchen einen guten, verlässlichen Mann«,
hatte ihm der Justiziar des Königs gesagt. In den Augen der königlichen Beamten
in Dublin war er nun ein Amtsträger des Königs, eher ein
Ritter als ein Bauer und naher dem Status, den sein
Vorfahr Peter FitzDavid innehatte, dem das Land damals übereignet worden war.
Die englischen
Herrscher befanden sich in einer Verteidigungshaltung, nicht allein gegenüber
den irischen Clans, sondern auch gegenüber einigen Siedlern, die sich nach
fünf, sechs Generationen im Grenzgebiet eher wie irische Stammesoberhäupter
aufführten und fast ebenso schwer zu kontrollieren waren. Mit Blick auf die
unsichere Welt um sie herum konnten die englischen Verwaltungsbeamten nur eine Schlussfolgerung
ziehen: »Wir müssen unseren Leuten hier das Rückgrat stärken. Entweder sie
bekommen einen englischen Befehl, oder die Insel wird im Chaos untergehen.
Erinnert unsere Kolonisten daran, dass sie Engländer sind.«
Was bedeutete es,
Engländer zu sein? Da war natürlich die Sache mit der Kleidung. Man lief nicht
mit nackten Beinen herum oder ritt ohne Sattel. Man erlaubte seiner Frau nicht,
einen leuchtend safrangelben Schal wie die Irinnen zu tragen. Man sprach kein
Irisch, außer mit den Einheimischen; man sprach Englisch. Zu Zeiten seines
Großvaters, erinnerte sich John Walsh, sprach ein Edelmann normannisches
Französisch, wie es noch immer für die eher formellen Vorgänge bei Hofe benutzt
wurde. Doch ging man heute nach Dublin, sprachen die Kaufleute und die
königlichen Beamten für gewöhnlich ein französisiertes Englisch, wie es in den
Städten Bristol und London geläufig geworden war. Und vor allem durfte man
keinen Iren heiraten. »Heiratet man sie«, hatte ihm einer seiner Verwandten aus
Fingal erklärt, »nimmt die Fäulnis ihren Lauf.«
Tatsächlich hatte die
Ständeversammlung in Kilkenny eine Reihe von Statuten verkündet, die eigentlich
jeglichen Kontakt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unter Strafe
stellten.
Dieser Versuch, die
beiden Bevölkerungsgruppen in verschiedene Welten zu zwingen, roch nach Panik,
dachte Walsh. Dabei war das Leben hier in letzter Zeit sehr ruhig verlaufen. Der
letzte größere Zwischenfall lag jetzt schon zehn Jahre zurück.
Damals war das
Oberhaupt der O’Byrne–Familie, ein ungewöhnlich ehrgeiziger Mann, mit einer
starken Streitmacht von den Bergen gekommen und hatte die Burg umzingelt. »Glaubt
Ihr wirklich, Ihr könntet den Ort halten, wenn Ihr ihn
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