Die Prinzen Von Irland
Straßenseiten beobachtete. Es war ein schauriges Gefühl, als
wäre er plötzlich ein unliebsamer Gast im eigenen Dorf geworden.
Dann
war er in MacGowans Haus gegangen und hatte feststellen müssen, dass sein
Freund verschwunden war. Er hatte in Dalkey nach ihm Ausschau gehalten und
mehrere Leute gefragt, doch niemand schien eine Ahnung zu haben, wo MacGowan
sein könnte. Das war sehr merkwürdig. Wenig später war Tom nach Hause gegangen,
wo er den Rest des Vormittags verbrachte. Gegen Mittag machte er sich erneut auf
den Weg zu MacGowans Haus, doch noch immer keine Spur von ihm. Auf dem Rückweg
traf er diesmal einige Männer und eine Frau auf der Straße. Sie erwiderten zwar
seinenGruß, doch er bemerkte wieder diese Verlegenheit.
Einer der Männer wich seinem Blick aus, und die Frau sagte: »Ich dachte, Ihr
wäret in Dublin.« Und ihr Ton legte nahe, dass sie Dublin für den Ort hielt, wo
er hingehörte. Bis er wieder zu Hause war, hatte sich seine Stimmung
verdüstert.
Es
blieben nur noch wenige Stunden: ein warmer Nachmittag, ein langer Sommerabend,
die langsam einsetzende Dämmerung und dann schließlich Dunkelheit. Und bei
tiefster Dunkelheit die schreckliche Falle in Carrickmines. Der Gedanke daran
bedrückte ihn. Er wünschte, er könnte ihn aus seinem Kopf verbannen. Während er
so allein zu Hause saß, fragte sich Tom mehr als einmal, ob er einen Fehler
gemacht habe. MacGowan war verschwunden; vielleicht weil er Angst hatte? Seine
Nachbarn schienen nicht mehr seine Freunde zu sein; wussten sie etwas, was er
nicht wusste? Sollte er doch nach Dublin zurückkehren? Doch die Scham hielt ihn
davon ab. Würde er nicht wie ein Idiot dastehen, wenn er wieder im Haus von
MacGowans Bruder auftauchte?
Der
Nachmittag verging langsam. Er versuchte, sich abzulenken. Er putzte die Pferde
und suchte sich Arbeit im Haus. Niemand kam vorbei. Rastlos ging er im Hof auf
und ab. Gegen vier Uhr am Nachmittag fühlte er das Bedürfnis, in die kleine
Kirche zu gehen, doch er zwang sich zu warten. Er würde zu seiner üblichen Zeit
gehen, keinesfalls früher. Er lief in die Scheune und säuberte alle Wagen,
nicht weil es nötig gewesen wäre, sondern um Zeit zu überbrücken, bis er schließlich
spürte, dass die Stunde näher rückte. Er stand im Hof, schätzte die Uhrzeit,
und als er gerade gehen wollte und zum Gemeindegrund schaute, entdeckte er
etwas an einem der Felsen. Es war schwer zu sagen, was es war. Vielleicht ein schwarzes
Schaf – viele Schafe in Dalkey hatten ein schwarzes Fell. Ein Streich, den ihm
das Licht spielte?
Oder
etwas anderes. Das dunkle Haar eines Mädchens?
Das
dunkelhaarige Mädchen. Warum war es ihm in den Sinn gekommen? Seine Phantasie
spielte verrückt, und er wusste es.
Sie
hätte von dort einen guten Blick auf seinen Hof. Sie hätte alle seine
Bewegungen gesehen. Beobachtete jemand die andere Seite seines Hauses? Das
könnte jeder aus Dalkey tun. Er starrte auf den dunklen Fleck neben dem Felsen,
um vielleicht ein Gesicht ausmachen zu können. Es gelang ihm nicht – und der
Grund dafür war, sagte er sich selbst standhaft, dass es dort gar kein Gesicht
gab. Er atmete tief durch, wandte sich ab und verbot sich, ein weiteres Mal zu
der Stelle zu gucken. Er ging aus dem Hof, da es jetzt Zeit war, in die Kirche
zu gehen. Als er auf die leere Straße trat, drehte er sich noch einmal um und
sah das dunkelhaarige Mädchen aus seinem Versteck aufspringen und zum Ortsende
rennen.
In
der Kirche war es still. Die nachmittäglichen Sonnenstrahlen, die durch die
kleinen Fenster fielen, tauchten das Innere in ein warmes, sanftes Licht.
Niemand war da. Er ging zu seinem angestammten Platz hinter der Holzwand und kniete
zitternd nieder, um zu beten. Er sprach ein Vaterunser und mehrere Ave Maria.
Die Worte schienen sich beruhigend und heilend um ihn herumzuwinden. Dankbar
nahm er ihre schützende Macht an.
Als
er eine Weile in stillem Gebet versunken war, hörte er plötzlich, wie die
Kirchentür geöffnet wurde.
Es
waren zwei. Der eine hatte einen leichten Schritt; der andere klang schwerer,
als trüge er kräftige Stiefel. Es gab doch keinen Grund, warum nicht zwei
Menschen die Kirche betreten sollten. Unwillkürlich musste er an die vorige
Woche denken. Er konnte nicht anders. War es wieder das Mädchen? Und ihr
unbekannter Gefährte? Er spürte, wie ihm kalt wurde.
»Bist
du sicher, dass er hier ist?« Eine tiefe Stimme. Eine Stimme, die er nicht
kannte.
»Ja,
ganz bestimmt.« Diese Worte waren
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