Die Prinzen Von Irland
da. Über ihm und im Osten über dem
Meer war der schimmernde Nachthimmel klar. Schon bald hing der letzte Span des
abnehmenden Monds wie eine Silbersichel zwischen den Sternen. Noch eine Nacht
und dann… absolute Dunkelheit. Die Nacht des Angriffs. Die Nacht einer wer weiß
wie schrecklichen Falle, die Harold und der Justiziar vorbereitet hatten. Bestimmt
auch Doyle. Nun war es ganz dunkel.
Er
wusste, er musste schlafen. Aber noch immer wollte es ihm nicht gelingen. Eine
Welle der Müdigkeit ließ sein Hirn ruhiger werden; doch dann stach seine Angst
wie ein blasser Dolch durch die Dunkelheit in sein Herz. Normalerweise war Dalkey
ein sehr angenehmer Ort. Die hohe Landzunge hinter ihm mit ihrer Aussicht über
die Bucht war wie ein freundlicher Begleiter. Doch nun nicht mehr. Der dunkle
Berg wirkte auf ihn wie ein riesiger, bedrohlicher Wall, von dem jeden Augenblick
die gespenstischen Kräfte der Rache herunterströmen könnten. Die O’Byrnes waren
nicht weit weg. In Dalkey gab es womöglich Fischer, die sich mit ihnen
zusammengetan hatten. Welchem Nachbarn konnte er trauen? Er wusstees nicht. Ihre Gesichter erschienen, eins nach dem anderen, vor
seinem geistigen Auge; vertraute Gesichter verzerrten sich plötzlich zu
wütenden, hasserfüllten Fratzen, und zuletzt sogar das Gesicht seines lieben
Freunds MacGowan, der ihn auf seine merkwürdige Art, mit einem zugekniffenen
Auge und dem offenen, das immer größer und größer wurde, schrecklich, kalt und
feindselig ansah.
Warum
war er noch hier? Sollten sie doch sein Haus und seine Fuhrwerke niederbrennen,
ihn in die Armut zwingen. Warum sollte er auf seine eigene Vernichtung warten?
Letztendlich
war die Erschöpfung stärker als die Angst, und Tom Tidy ging ins Haus zurück
und legte sich ins Bett. Vorher jedoch tat er etwas, was er nie zuvor getan
hatte: Er verriegelte die Tür.
* * *
Am nächsten Morgen
ging Tom sofort zu MacGowan und sagte ihm, dass er nach Dublin fahren werde.
»Das
ist auch besser so«, sagte MacGowan. »Ich werde jeden Tag nach deinem Haus
sehen. Ich habe ein Auge darauf. Deine verbleibenden Pferde werde ich mit zu
mir nehmen.« Tom spürte, dass sein Freund wahrhaftig erleichtert war. Wieder zu
Hause spannte er seine beiden besten Pferde an den großen Wagen und band ein
weiteres Pferd mit einem Zügel hinten dran. Dann brach er nach Dublin auf.
Unweigerlich
verspürte er ein angenehmes Gefühl der Erleichterung, als er die lange gerade
Saint Francis Street entlangfuhr, wo sich Giebelhäuser dicht aneinander
drängten, und zur offenen Kreuzung, wo er rechts in die Stadt abbog. Hundert
Meter hinter ihm stand das alte Hospiz von Ailred dem Palmer; zu seiner Rechten
lag die Wiese, auf der im Sommer immer die Messen stattfanden; und vor ihm das
große Westtor – prächtiger denn je, seit es mit seinen zwei wuchtigen Türmen
und einem kleinen Gefängnis neu aufgebautworden war.
Durch dieses Westtor fuhr er, und bald erreichte er das Haus von MacGowans
Bruder.
»Wie
lange werdet Ihr bleiben?«, fragte dieser. »Michael hat mir angekündigt, dass
Ihr vielleicht kommen würdet.«
»Vielleicht
ein, zwei Wochen«, meinte Tom und hatte Sorge, er könnte den guten Charakter
seines Gegenübers zu sehr ausnutzen.
Das
Haus des Handwerkers war recht geräumig, dazu kam ein großer Hinterhof. Seine
Frau und die Kinder waren ein wenig überrascht, als sie Tom sahen, hießen ihn
jedoch willkommen und beharrten darauf, dass er im Haus neben der Küche
schliefe und nicht im Speicher über dem Stall, wie er es angeboten hatte. Ein
guter Ire hätte gewusst, wie man sich bequem auf einer Bank niederlässt und
einige sorglose Stunden verbringt; doch obwohl Tom Tidy sein ganzes Leben nur
in Irland gelebt hatte, verbot es ihm seine englische Natur, einfach nichts zu
tun. Gut, er setzte sich eine Stunde hin, und alles war so freundlich, wie es
nicht besser hätte sein können; doch danach meinte er, im Weg zu sein,
entschuldigte sich und begab sich auf einen Spaziergang zur Christ Church.
In
der Stille der Kathedrale spürte man die Bedeutung der keltischen Tradition von
Patrick und Colum Cille. Die Säulen und Bögen ließen Tom sich dort so sicher
fühlen wie in einer Burg. Die bunten Kirchenfenster schimmerten im
geheimnisvollen Licht sanft wie Seiten eines alten Evangelienbuchs. Hin und
wieder huschte ein Mönch durch das Halbdunkel.
Tom
streifte zwischen den Särgen umher. Am beeindruckendsten fand er den mit der
großen aufragenden Steinplatte, in
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