Die Prinzen von Queens - Roman
auf«, sagt er, während das Taxi auf die Ausfahrt Northern Boulevard zujagt. »Ich muss mich noch um so ’n anderen Scheiß kümmern. Wär’s okay, wenn ich dich zu Hause absetze?«
Tariq starrt geradeaus, reglos und schweigend, die Hände friedlich im Schoß gefaltet. Alfredo weiß nicht, wie er das zu deuten hat. Er lässt seinen Bruder ganz und gar nicht gern mit Isabel in einer Wohnung, aber schließlich sind sie ja nicht allein – Mama und Papi werden beide da sein –, und außerdem kann man jemanden schlecht anschwärzen, wenn er einem am Ellbogen hängt, stimmt’s? Da Tariq die potenziellen Verbündeten Baka und Pierre zu definitiven Feinden gemacht hat, muss Alfredo – der das Gefühl hat, im Leben immer gut damit gefahren zu sein, genau das zu tun, was sein Bruder garantiert nicht tun würde – nun seinerseits ein paar potenzielle Feinde zu definitiven Verbündeten machen. Muss ein paar brutale Arschlöcher mit ins Boot holen: die Polizei. Er wird zum Dunkin’ Donuts an der 70th Ecke Northern gehen und warten, bis die Jungs von der Kriminalitätsbekämpfung aufkreuzen, wie jede Nacht zwei-, dreimal pro Schicht. Er wird sie fragen, ob sie Lust hätten, einen Hundekampf hochgehen zu lassen. Ob sie Lust hätten, seinem Bruder, dem Ex-Knacki auf Bewährung, Handschellen zu verpassen.
Das Taxi verlässt den Expressway und jagt durch Corona. Alfredo und Tariq nähern sich Jackson Heights, ihrem Zuhause, auf einer grünen Welle. Vor dem Fenster weicht die Langston Hughes Library einem Spirituosenladen, der einem argentinischen Steakhouse weicht und dieses wiederum einer Parkuhr, um deren Kopf ein roter Stoffsack festgezurrt ist.
Alfredo juckt es überall, und er fragt sich, ob er sich vom Giftefeu angesteckt hat, oder ob es bloß sein Gehirn ist, das seinen Körper angreift.
»Geht das klar?«, fragt er. »Dass ich dich zu Hause absetze?«
Tariq starrt weiterhin geradeaus. »Und wo fährst du hin?«, fragt er.
»Muss jemanden auf nen Kaffee treffen«, sagt Alfredo, was zugleich eine Lüge und keine Lüge ist, eine seiner Spezialitäten. »Geht super schnell.« Er tippt auf das Plastik von Tariqs Digitaluhr. »Bin in Nullkommanichts zurück«, sagt er.
»Glaubst du, du kannst mich verarschen?«, sagt Tariq. »Kaffee?« Sein Grinsen erstreckt sich bis zu der Wunde auf seiner Wange, so dass daraus ein langgezogenes schiefes Lächeln wird. »Hast du ein Mädchen am Laufen, Dito? Was Kleines nebenher?«
»Siehst du?«, sagt Alfredo und kratzt sich am Hals. »Das meine ich. Genau das. Vielleicht hast du es vorhin nicht gehört, weil du geschlafen hast und so weiter. Jedenfalls hab ich gesagt, ich glaube nicht, dass du so bescheuert bist, wie du aussiehst. Und jetzt guck’s dir an: Voll auf die Zwölf.«
»Du machst es echt. Du fährst zu einem Mädchen. Du kleiner Scheißer.« Er lacht. »Nicht so bescheuert, wie ich aussehe, was? Weißt du was, Dito? Ich hab so meine Zweifel, ob das ein Kompliment ist.«
»Genau solche Kommentare«, sagt Alfredo, »beweisen, dass ich goldrichtig liege.«
11
Die Türfabrik
Tariq weiß, dass in einer bestimmten Sorte Buch – nicht Dem Buch natürlich, sondern einem ausgedachten, einem Produkt der Fantasie – ein Mann in seiner Situation es mit Burggräben und Zugbrücken und durch die Luft katapultierten Felsbrocken und Kesseln mit Teer und Teufeln und Dämonen und Drachen und Zwergen und bärtigen Ogern und Gaunerbrüdern und weiß der Henker was zu tun hätte. Dieser Mann, der Held dieses Märchenbuches, würde unter freiem Himmel stehen, genau wie Tariq, und zu einem riesigen festungsartigen Bau hinaufschauen, so wie Tariq zum Mietshaus seiner Eltern, und ihm würde das Blut in den Kopf steigen, genauso wie Tariqs Blut rauscht, brandet und ihn schwindelig macht. Nachdem das Taxi ihn abgesetzt hatte, hat sein Bruder ihm die Hausschlüssel gegeben und ihm noch einmal versichert, er sei gleich zurück. Na klar, sicher. Gleich zurück. Ratzfatz. Das Schlüsselbund wiegt schwer in der Hand. Das Gebäude zieht ihn an.
Aber noch nicht. Geduld, Geduld. Vorher hat er noch etwas zu erledigen.
E r läuft zu einer Ecke des Northern Boulevard, die sonst immer von Zeitungskästen bevölkert gewesen war, aufgereiht wie eine Armee gedrungener Roboter. Aber nicht mehr. Wahrscheinlich hatten die Leute eine Zeitung bezahlt, die Klappe geöffnet und gleich alle mitgenommen. Bloß weil es möglich war. Aus Sorge um den Profit hatten die Verleger also die Kästen von der Ecke
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