Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
nicht noch länger in der eigenen Mildtätigkeit zu schwelgen, lässt er den Mann mit seinem Dankedankedanke stehen. Es fühlt sich gut an, in Bewegung zu sein. Ein Rest violetten Lichts hängt noch am Himmel. Alles ist, wie es sein sollte. Weil er dem Mann sein letztes Geld gegeben hat, hat Tariq nun das Gefühl, sein Viertel zurückbekommen zu haben. Er könnte endlos durch die Straßen schlendern, ein Lied summen, die Hände in den Taschen, aber seine Casio F-91W sagt ihm, er solle sich beeilen. Einen Gang hochschalten. Weil er sonst Zeit verliert, die er nie mehr zurückbekommt. Oder, wie es im Buch heißt:
    Genaht ist die Stunde und gespalten der Mond.
    Er trabt los. Hält den Kopf gesenkt und schaut, wie die Gehwegplatten unter seinen Füßen verschwinden. Nehmt euch in acht, Leute! Aus dem Weg! Es war gut zu laufen, aber Mann o Mann, Rennen ist noch viel besser.
    D rei Schließriegel sichern die Wohnungstür seiner Eltern. Er probiert einen eckigen Schlüssel, aber der passt in keines der Schlösser. Er probiert einen anderen eckigen. Er probiert gedrungene Schlüssel und runde Schlüssel und dünne Schlüssel, aber keiner passt, egal wie stark er drückt. Verzweifelt probiert er einen Briefkastenschlüssel. Sein Puls geht hoch, als ein extralanger Schlüssel ins mittlere Schloss passt, aber natürlich natürlich natürlich lässt er sich nicht drehen. Er versucht, Schlüsselbärte und Schlüssellöcher per Stielauge abzugleichen, aber es ist hoffnungslos, er kann nicht gut sehen, das Flurlicht ist schummrig, und es sind einfach zu viele scheiß Schlüssel, ein riesiges Schlüsselgewirr, der feuchte Traum eines jeden Hausmeisters. Schlüssel, die sein Bruder möglicherweise auf der Straße gefunden und eingesteckt hat, Schlüssel zu ihrer alten Wohnung hinter Papis Bodega, Schlüssel, die keine Funktion mehr haben, zumindest weiß niemand, welche, oder die Türen öffnen, die es womöglich gar nicht mehr gibt. Das sieht ihm ähnlich, denkt Tariq. Sein Bruder hebt Schlüssel auf, auch wenn sie nutzlos geworden sind, weil er als Romantiker rüberkommen will, als einer, der die ganze Nacht wach bleibt und in Nostalgie schwelgt. Ein dicker Metallring spießt die Schlüssel auf, daran hängt ein billiger Flaschenöffner. Darauf ist »Bester Papa der Welt« eingraviert.
    Mittendrin verliert Tariq den Überblick, welche Schlüssel er bereits ausprobiert hat und welche nicht, weshalb er wieder von vorne anfängt. Schwarze Schimmelflecken verunstalten die Wände. Auch etwas, das in seinen Heimkehrfantasien nicht vorgekommen ist.
    Ihm drängt sich der Gedanke auf, dass, egal wie gerne er es auch hätte, womöglich keiner der Schlüssel eines der Schlösser öffnet. Vielleicht hat sein Bruder ihm aus Jux absichtlich ein falsches Schlüsselbund gegeben, um ihn zu demütigen, damit er impotent an Schlössern herumkratzen, klingeln oder an der Tür klopfen muss wie ein Geächteter, ein Zeuge Jehovas oder ein Vertreter, ein Mann mit dem Hut in der Hand und eingeklemmtem Schwanz.
    Auf der anderen Seite der Tür läuft der Fernseher in voller Lautstärke. Tariq meint, Gelächter zu hören. Und zwar nicht das Fernsehgelächter eines gefaketen Studiopublikums, sondern echtes Gelächter echter Menschen im Wohnzimmer. Sein Hund winselt, und ja, da drinnen lacht tatsächlich jemand. Er leidet hier Höllenqualen, zu Hause und doch nicht zu Hause: Fesseln, Feuer und ein Fraß, an dem man erstickt. Er biegt einen Schlüssel krumm, was nicht einfach ist und einen gezahnten Abdruck in seinem Daumen hinterlässt. Mit zitternden Händen greift er in sich hinein und umklammert Das Buch:
    Dein Herr hat dich nicht verlassen und nicht gehaßt! Und wahrlich, das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits, Und wahrlich, geben wird dir dein Herr, und du wirst zufrieden sein. Fand er dich nicht als Waise und nahm dich auf? Und fand dich irrend und leitete dich? Und fand dich arm und machte dich reich?
    Natürlich gibt es Schlösser. Natürlich gibt es Hindernisse. Aber Tariq weiß, er ist auf einen geraden Weg geführt worden, wenn auch nicht unbedingt einen leichten. Mit Hilfe der verlässlichen Hand Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen, probiert er es erneut, einen nach dem anderen, und diesmal steckt er die richtigen Schlüssel in die richtigen Schlösser. Waisen allesamt, gleiten sie in ihre Kammern mit dem leisen Ratschgeräusch des Nachhausekommens.
    Als er die Wohnung betritt, drehen Isabel und Papi ihm ihre gekünstelten, gespielt

Weitere Kostenlose Bücher