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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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entfernt. Übrig geblieben sind, abgesehen vom Müllgestank, lediglich die Gratiszeitungen: die Käseblättchen, die Queens Tribune , die Queens Gazette , die Wurfsendungen mit Stellenanzeigen. Wie eine Roboterarmee sieht das nicht mehr aus. Eher wie ein Haufen billiger Reihenhäuser aus Plastik, deren Bewohner Tariq unisono verzweifelt zurufen: Nimm dir eine! Schnapp dir eine! Gratis! Gratis!
    Er geht zum Ende der Reihe, zu einem kleinen grünen Haus mit winzigen Mansardenfenstern, die aus dem Dach herausragen. Die Tür schwingt auf. Im Innern liegen zwei ordentliche Stapel Taschenbücher, die Juniausgabe 2002 vom Apartment Finder . Auf einem Aufkleber an der Innenseite des Hauses – angezogen von dem Kunststoff-Geruch, hat Tariq den Kopf ganz in das Häuschen gesteckt – steht ein Warnhinweis: Beschädigung dieses Eigentums wird mit Bußgeld oder Freiheitsstrafe geahndet.
    Ja, ja, schon gut. Er steckt ein Exemplar in die Gesäßtasche, wo es seine Entlassungspapiere zerknittert. Am liebsten würde er alle Bücher mitnehmen und in den Rinnstein schmeißen, um die Konkurrenz bei der Wohnungssuche zu benachteiligen, aber diese kleinen grünen Häuser stehen wahrscheinlich überall in Queens. Um tatsächlich etwas zu bewirken, müsste er zu jedem einzelnen gehe,– aber mal ernsthaft, wer hat schon die Zeit dazu?
    A cht Stunden ist es jetzt her, seit Tariq sich in der Umkleidekabine bei Macy’s den Charleston-Chew-Riegel reingezogen hat, seitdem hat er nichts mehr gegessen. Kein Stück Pizza bei Gianni’s, nichts von Mamas scharfem Huhn, nicht mal einen Burger bei Whitestone Lanes. Und nun ist es wohl zu spät. Er hat seine Chance verpasst. In Haft war er oft zwei Nächte hintereinander wach geblieben, hatte in dem Lichtscheibchen, die Wange an den Gitterstäben, gelesen und war dann in der dritten Nacht, obwohl hundemüde, einfach zu zittrig gewesen, um zu schlafen. So fühlt er sich jetzt. Zu hungrig zum Essen. Vor dem Waschsalon gegenüber von Papis altem Laden fragt sich Tariq, ob sein Magen ihn verlassen, sich selbstständig in einen der Körper in der Nähe transplantiert hat, den des chinesischen Lieferanten etwa, der an ihm vorbeiradelt und nach Bratreis mit Schweinefleisch riecht, oder möglicherweise in eine der Ameisen zu seinen Füßen, die in einem sandigen Loch zwischen den Gehsteigplatten verschwinden.
    Genauso sollte es sein. Der gerade Weg ist mit Hunger gepflastert. Mohammed, Friede sei mit ihm, hatte in der Höhle des Berges Hira gefastet und war als Prophet zurückgekehrt. Selbst halb verhungert, spürt Tariq lediglich einen pochenden Schmerz hinter den Augen, und auch wenn er mit Schmerzen leben kann – und mit Narben auf dem Gesicht und Glaskörnchen im Auge und mit Verrat und Kränkungen und fehlendem Respekt, mit Schwätzern und Verleumdern und von Dschinns besessenen Dämonen –, hat er Sorge, dass der dumpfe Hunger seine Gedanken daran hindert, in geordneten Bahnen zu verlaufen.
    An der Tür des Waschsalons steht auf einem Schild Wechseln nur für Kunden und Tariq braucht zu lange, um zu verstehen, dass damit das Wechseln in Vierteldollarmünzen und Dimes gemeint ist. Sein Magen knurrt laut, als schämte er sich für ihn. Als er die Tür aufdrückt, schaut drinnen ein glatzköpfiger Schwarzer auf, einer der Kunden, die ein Anrecht auf die Benutzung des Wechselgeldautomaten haben. Der Typ sitzt neben einer Waschmaschine auf einem Stuhl, die Füße dreist auf einen anderen gelegt. Auf dem Schoß hat er einen Laptop. Ein richtiger Profi – seine Mutter ist bestimmt super stolz auf ihn, denkt Tariq –, denn er braucht beim Tippen nicht mal hinzuschauen. Glotzt stattdessen Tariq an. Und wieso? Wegen der lächerlichen Converse? Weil Tariq ohne Wäschekorb hereinmarschiert ist? Andererseits kosten seine Rocawear-Jeans allein schon zehnmal so viel wie alles, was der Typ am Leib trägt, zusammen. Und trotzdem, ohne den nötigen Stolz aufbringen zu können, gibt Tariq unwillkürlich klein bei und blickt zu Boden. Er weiß nicht, wieso. Er spürt ein unangenehmes Kribbeln, wie Ameisen es spüren müssen, wenn sie sich unter einem Vergrößerungsglas zusammenkauern.
    Davon begleitet läuft er linkisch zum Zeitschriftenständer, wo er sich ein Blättchen mit dem Namen Rentals , eines, das Rent 411 heißt, und eines, das dickste von allen, namens The Real Estate Book schnappt. Er spürt die Blicke des Typen am Hinterkopf. Er hört seine Finger auf die Tastatur trommeln. Er hämmert auf den Laptop

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