Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Hand unter die Kommode seines Vaters. Das Holz wirkt höckerig, als habe es sich irgendwo eine Krankheit geholt. Was Ansteckendes. Vor Jahren, als Tariq noch ein Kind war, hatte er in den Schubladen der Kommode nach allem gekramt, was seine kleinen Hände zu fassen kriegten: Kleingeld, Hustenbonbons, Pornohefte, Minibar-Fläschchen Barcardi, eine unerklärliche Jarmulke, Kondome, die er wie Luftballons aufgeblasen hat. Dieses Mal allerdings sucht er etwas ganz Bestimmtes: ein Päckchen, das er mit Packband an die Unterseite der Kommode geklebt hat. Es sollte genau in der Mitte sein. Eine durchsichtige Plastiktüte mit 930 Dollar, so viel sollte es zumindest sein, sein Anteil an der Beute aus dem Virgil’s.
    Als er sie nicht finden kann, kriecht er über den Fußboden und schaut unter der Kommode seiner Mutter nach. Auch hier ist kein Geld, was ihn nicht überrascht. In dieser Familie ist nichts sicher. Er steht langsam auf, wischt sich Schmutz und Staub von den Händen. Die schmächtige Brust seines Vaters bebt.
    I m Flur vor dem Schlafzimmer seiner Eltern stößt Tariq mit Isabel zusammen. Er hat gedacht, sie würde im Wohnzimmer auf ihn warten, was natürlich nicht der Fall ist. Sie musste ihm ja hierher folgen. Musste sehen, was er als Nächstes tut. Lächelnd geht er auf sie zu, und sie weicht an die Wand zurück.
    »Was ist los mit dir?«, sagt sie.
    »Keine Ahnung«, sagt er, lächelt noch immer. »Was soll denn mit mir los sein?«
    »Er ist dein Vater.«
    »Er ist ein Lügner. Wusstest du das? Er hat gesagt, meine Mutter sei schlafen gegangen, aber …«
    »Sie schläft in deinem alten Zimmer.«
    »Bitte unterbrich mich nicht«, sagt er. Er schaut ihr auf den Bauch, der gegen seinen Hosenstall drückt. Oh, er wünschte, sie stünden genau anders herum, er wäre derjenige mit dem Rücken zur Wand, gestützt, so dass er nicht zu Boden sacken könnte. Isabel riecht leicht säuerlich, wie Milch am letzten Tag ihrer Haltbarkeit. Gerne würde er den Geruch von ihr abwaschen. Ihr die Haare einschäumen, den Rücken einseifen. Als er sein Gesicht an ihres heranführt, dreht sie den Kopf weg und starrt ausdruckslos aus dem Küchenfenster. Die violette Dämmerung, die sich den frühen Abend über gehalten hatte, ist nun von der Dunkelheit verschluckt, verschlungen. Schlau von ihm, gewartet, es herausgezögert zu haben, denn wie heißt es schon im Buch:
    Siehe, der Anbruch der Nacht ist stärker an Eindruck und aufrichtiger an Rede.
    N eunundzwanzig Monate fantasierter Szenerien, und nicht eine einzige davon in dieser Kulisse, in diesem abgedunkelten Flur, mit diesen Familienbildern an den Wänden und einer Isabel, die das Fatima-Shirt seines kleines Bruders trägt. Aber man soll sich ja nicht beklagen. Man nimmt’s, wie’s kommt, und macht das Beste draus.
    »Ich hab die hier für dich besorgt«, sagt er und greift in seine Taschen. »Ich bin zur Ecke gegangen. Und auch zum Waschsalon.«
    Er drückt ihr die Hefte in die Hand, reicht ihr eins nach dem anderen, als wollte er den Moment möglichst lange ausdehnen. Er beobachtet ihr Gesicht. Den Apartment Finder hebt er bis zum Schluss auf und legt das Buch dann obendrauf. Er tastet seine Taschen ab. Das war’s. Das ist alles. Wäre diese fette ecuadorianische Mistkuh nicht gewesen, hätte er mehr, Dutzende von Zetteln und Klaviertasten, einen wahren Wust an Möglichkeiten, der Isabels Arme überfluten und in einer Kaskade auf den Boden rauschen würde.
    »Siehst du? Es gibt einen Farbcode an der Seite, jeder Stadtteil hat eine andere Farbe. Ich an deiner Stelle würd so anfangen: erst aussuchen, wo ich wohnen will, und von da dann weiter. Tabu ist erst mal gar nichts, okay? Mach dir um Preise keine Gedanken.« Er sagt ihr nicht, dass er weder das Geld vom Virgil’s gefunden noch das Koks von Baka bekommen hat – das sind seine Probleme, nicht ihre. »Ich mag ja Astoria«, sagt er. »Und ich würd eine Dreizimmerwohnung empfehlen. Wär schon super, noch ein zusätzliches Zimmer. Aber die endgültige Entscheidung liegt ganz bei dir.«
    An ihrem Gesichtsausdruck ist abzulesen, dass er sich nicht besonders klar ausdrückt.
    »Die Sache mit dem zweiten Zimmer ist die«, sagt er. »Da könnten wir für dich eine Nähmaschine reinstellen. Und ich würd’s gern als Arbeitszimmer nutzen. Ich würde gern Arabisch lernen, weißt du? Damit ich den Koran so lesen kann, wie man ihn lesen muss. Ich wette, das gehört zu den Dingen, die du von mir nie erwartet hättest. Hab ich

Weitere Kostenlose Bücher