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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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unschuldigen Gesichter zu. Sie sitzen nah beieinander: Isabel im Schneidersitz auf dem Sofa, Papi in seinem Rollstuhl, eine Decke auf dem Schoß. Eine Luftmatratze liegt zwischen ihnen auf dem Boden, sie glänzt, ist aufgepustet und sieht aus, als könne man sie leicht zum Platzen bringen. Man stelle sich das vor: Papi wendet sich von Tariq ab und wieder dem Fernseher zu. Offensichtlich ist Tariqs Rückkehr in diese Wohnung bereits zu einer weiteren langweiligen, selbstverständlichen, alltäglichen Angelegenheit geworden. Offensichtlich kann er nicht mit dem Fernsehprogramm konkurrieren, wo eine weiße Frau, die Stimme unnatürlich verstärkt, Gedenkmünzen zum 11. September anpreist: Wir werden niemals vergessen. Der Stolz, Amerikaner zu sein. Gehört in die Sammlung eines jeden echten Patrioten.
    Wenigstens der Hund heißt ihn willkommen. Noch immer am Sofabein angeleint, springt er los, um Tariq zu begrüßen, und bei jedem Sprung stranguliert er sich mit seinem Stachelhalsband. Wild entschlossen, aber schlau und mit einer schnellen Auffassungsgabe gesegnet, stellt er das Gespringe ein und macht stattdessen kleine Schritte, Pfote um Pfote, die Nackenmuskulatur ein deutlicher Beweis für die Überzüchtung seiner Rasse. Das Sofa ruckelt vorwärts. Er zieht es über den Teppich, Isabel nimmt die Füße von den Polstern und stellt sie auf den Boden. Würde sie aufstehen, würde das Sofa sicherlich auf Tariq zuschießen, bleibt sie sitzen, die Füße im Boden verankert, wird sich der Hund strangulieren. Für diesen Zug hat Isabel bereits seit Längerem eine Fahrkarte. Es ist ein Wettkampf zwischen ihr und dem Hund, und Tariq schaut teilnahmslos zu, unsicher, wem er nun die Daumen drücken soll. Die Beine des Hundes zittern. Ihm fällt die Zunge aus dem Maul.
    »Wo ist Alfredo?«, sagt Isabel. »Geht’s ihm gut? Ist was mit ihm passiert?«
    Obwohl mitten im Kampf, bellt der Hund nicht. Von allen Dingen, die Tariq an dem Tier bewundert, steht das ganz oben auf der Liste. Purer Biss. Tariq geht zu ihm und löst die Leine vom Halsband. Danke, vielen Dank. Der Hund springt an ihm hoch, liebkost ihn, wirft ihn beinahe um, seine Pfoten tapsen auf Tariqs Brust herum. Tariq spielt ihr Spielchen, bei dem er ihm in die geäderten Augen pustet und der Hund wegzuckt und verärgert tut.
    »Deine Mutter will, dass er angeleint bleibt«, sagt Papi.
    »Ach ja?«, sagt Tariq. Er presst dem Hund das Maul zu, damit er ihm nicht auf die Jeans sabbert oder die Backe leckt. »Und wo ist Mama?«
    »Im Bett. Im Koma. Sie hat versucht, wach zu bleiben, bis du nach Hause kommst, um dir was zu sagen …« Er schnipst mit den Fingern. »Was wollte sie ihm noch mal sagen?«, fragt er Isabel.
    Sie schüttelt den Kopf, als könnte sie sich nicht erinnern. Aber das kann nicht sein, denkt Tariq. Das kann sie nicht vergessen haben.
    Um sich besser zu erinnern, schließt Papi die Augen und legt den Kopf nach hinten. Ein loser Beutel Haut hängt ihm im Nacken. Irgendeine böse Macht, denkt Tariq, hat seinem Vater die grauen Wangen nach vorne ins Gesicht gezogen. Es sieht aus, als hätte Papi eines dieser Atemgeräte benutzt, eines dieser durchsichtigen Suspensorien aus Plastik, die über Mund und Nase gehen. Bloß, dass diese grausame Maschine keinen Sauerstoff spendet, sondern absaugt. Und so sieht Papi nun aus wie einer, der das Handtuch geworfen hat, halb tot ist, mit einem gelähmten Bein schon auf dem Cedar-Grove-Friedhof. Im Buch heißt es:
    Sei es, daß der eine von ihnen oder beide bei dir ins Alter kommen. Drum sprich nicht zu ihnen: »Pfui!« und schilt sie nicht, sondern führe zu ihnen ehrfürchtige Rede. Und füge dich ihnen unterwürfig aus Barmherzigkeit und sprich: »Mein Herr, erbarme Dich beider, so wie sie mich aufzogen, da ich klein war.«
    Mhm, na ja, Tariqs erster Einwand gegen die Sure ist, dass die Sache mit dem Aufziehen in seinem Fall vielleicht nicht so recht passt. Und zweitens war Papi nicht in seiner Gegenwart ins Alter gekommen. Das war passiert, während er im Gefängnis war. Das war passiert, da ist er sich sicher, weil er im Gefängnis war.
    »Jetzt fällt’s mir ein«, sagt Papi.
    »Habt ihr mich an der Tür gehört?«
    »Deine Mutter wollte, dass ich dich erinnere …«
    »Habt ihr mich gehört? An der Tür?«
    Jose sieht zu Isabel, und Tariq achtet darauf, ob sich in seinem Gesicht etwas bewegt – ob die Brauen sich wölben oder seine schuppigen, dehydrierten Lippen sich zu einem Schmunzeln verziehen. »Was meinst

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