Die Prinzen von Queens - Roman
werden sie beobachtet, wenn nicht schon die ganze Zeit.
»Ein furchtbarer Gedanke«, sagt Tariq mit einem Lächeln. »Aber ich mache dir keinen Vorwurf, dass du das denkst. Denn ich tu ja allen weh, die mir lieb und teuer sind, stimmt’s? Ich liebe Allah und tu ihm weh. Hab die ganzen Pillen genommen, dieses Teufelszeug. Ich liebe Isabel und trotzdem …«
Ein ersticktes, verzweifeltes Stöhnen durchzieht Alfredo. Den Rücken zur Wand, beginnt er zu zittern. Er hasst sich selbst. Er will weg hier, nach Hause rennen. Tränen tropfen ihm von der Brille.
»Hör auf«, sagt Tariq warnend. »Hör sofort auf zu weinen.«
Alfredo nickt. Er versucht die Luft anzuhalten. Hätte er ein T-Shirt an, könnte er sich das Gesicht abtrocknen. Stattdessen beißt er sich wieder von innen in die Backen, diesmal fester.
»Ich hab diesen Hund geliebt«, sagt Tariq. Er kommt ein paar Zentimeter näher, so dass der Abstand zwischen ihnen nun gleich null ist. »Ich hab diesen Hund geliebt, und jetzt sieh ihn dir an. Sieh dir diese Katastrophe an.« Er schüttelt amüsiert den Kopf. »Anscheinend bist du der Einzige, dem ich nicht wehgetan habe. Was hat das zu bedeuten? Du bist doch so scheiß schlau – sag du’s mir. Was bedeutet das? Denn ich weiß es nicht. Ich versteh’s nicht, Dito.« Er hält Alfredo einen Finger vors Gesicht. »Du warst doch der, der die Regeln gebrochen hat.«
Das Blut auf Tariqs Oberlippe ist zu einer braunen krustigen Schliere getrocknet. Sein Atem geht tiefer. Er lächelt, während er nach Luft ringt, und für Alfredo haben sich die potenziellen Vorteile, mit dem Rücken zur Wand zu stehen – sie schützt seine Nieren und hält ihn aufrecht –, vollständig in Luft aufgelöst. Er muss hier weg. Aber er hat nicht genug Platz, um einfach loszurennen, und auch nicht, um zu einem Schlag auszuholen. Einen Ellbogen ans Kinn würde möglicherweise funktionieren, wenn er genügend Wucht dahinterbekommt. Oder er könnte seine Schlüssel nehmen. Das ginge vielleicht. Er könnte sie so packen, dass einer aus der Faust rausragt. Aber er kann sich nicht vorstellen, das wirklich zu tun. Er fühlt sich zu schwach. Blut brandet gegen seine Schläfen.
»Auch Isabel hat die Regeln gebrochen«, sagt Tariq. »Aber ihr zu vergeben, darauf hatte ich mich vorbereitet. Das war mein Plan. Der gerade Weg. Sie zu bestrafen habe ich nie vorgehabt.«
Alfredo versenkt die Finger in der warmen eitrigen Wunde auf der Wange seines Bruders. Er trifft auf Knochen, auf Nerven. Tariqs Augen weiten sich vor Überraschung. Schreiend taumelt er zurück. So laut, dass der Schäferhund in seiner Ecke verstummt. Ein lang anhaltender markerschütternder Glockenschlag. Er steht gebückt da, eine Hand auf der Wange, die andere haut gegen den Schenkel. Als er sich wieder der Wand zuwendet, ist Alfredo verschwunden.
Der Dunst ist dichter geworden. Mittlerweile haben sich Alfredos Freunde geschlossen vom Ring abgewendet, vom Pitbull, dessen Eingeweide sich dampfend auf dem Boden ringeln. Sie ballen sich in der Mitte des Kellers, diese Männer. Eine dunkle Körpermasse, und es hat den Anschein, als würden sie übereinanderstehen, bis hinauf zur Decke, und allesamt brüllen.
In der Hoffnung, zwischen ihnen verschwinden zu können, rennt Alfredo auf sie zu. Er prallt an einem Körper ab und gegen den nächsten: ein Haufen Fleisch, stark parfümiert. Baka. Er muss es sein. Alfredo will ihn fragen, ob er die .38er im Hosenbund hat, aber so viel Zeit hat er nicht. Er hört, wie sein Bruder die Verfolgung aufnimmt. Na klar. Jetzt spielen sie Tariq in die Hand. Das hat er immer gewollt: einen Kampf. Alfredo greift in die Hosentasche nach dem Schlüssel, einer Waffe, zieht aber nur Kleingeld hervor, Zehn- und Fünfcentstücke, ein Handy, das quer über den Fußboden schlittert. Sein Bruder. Sein Bruder hat den Schlüssel. Alfredo rennt auf die Pyramide aus Suppendosen zu, die ordentlich gestapelt an der Ringseite steht. Er schnappt sich eine davon. Sie passt perfekt, wie für seine Hand gemacht. Als er sich umdreht, sieht er seinen Bruder auf sich zu rennen, die kräftigen Arme schwingen, das Gesicht dunkel und verzerrt.
Besser, er wartet. Würde Alfredo die Dose werfen, ginge sie daneben. Das weiß er. Beeindruckende Geschwindigkeit, unglückseliger Werfer. Besser, er wartet, bis Tariq nah genug ist, und zieht ihm dann die Dose durchs Gesicht. Spaltet ihm die Stirn. Lässt ihm das Blut in die Augen fließen. Aber angesichts der Ereignisse der letzten
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