Die Prinzen von Queens - Roman
Alfredo. »Wohnt er hier in der Gegend?«
»Hör auf, uns die Stange zu polieren«, sagt der Dominikaner, seiner selbst nicht ganz sicher. »Wir wissen, dass du weißt, dass sie ihn plattgemacht haben. Komm schon, hombre . Wir wissen, dass du weißt, dass sie deinen Freund Curtis totgeprügelt haben.«
»Das stimmt nicht«, sagt Alfredo.
»Was stimmt nicht?«
»Das stimmt nicht«, sagt Alfredo wieder.
»Ich dachte, du kennst ihn nicht.«
»Totgeprügelt?« Alfredo lehnt sich an die Wand. »Ich bin rausgegangen, um mir einen Cheeseburger zu holen, ging aber nicht, weil ich kein Auto habe, und ich geh hier einfach nur lang und Sie halten mich an und beschuldigen mich, Drogen und Waffen dabeizuhaben und Sie steigen aus und schubsen mich rum …« Alfredo zählt die Details der letzten paar Minuten haarklein auf. Mit monotoner Stimme – es ist der einzige Tonfall, den er hinkriegt – listet er seine Klagen auf, alles, was ihm widerfahren ist, alles, wofür er nicht verantwortlich ist. Seine Brille sei verkratzt, lässt er sie wissen. Weil sie ihn gegen die Wand gedrückt haben. An der Wange hat er eine Schramme von den Backsteinen. Alfredo redet und redet, weil es ihn davon abhält, sich mit dem Tod von Curtis Hughes auseinanderzusetzen, und weil er weiß, wie sehr es die Polizeibeamten anödet. Man braucht sie bloß anzusehen. Der Dominikaner lässt den Kopf sinken und wischt sich mit dem Armband den Schweiß von den Augen. Das war ein Fehler, denken sie. Wüsste dieser kleiner Puerto Ricaner irgendwas Relevantes, würde er nicht so scheiß viel quatschen. Sie hatten ihn angehalten, um ein paar Überstunden abzureißen, um ihn ordentlich auf Drogen und Waffen zu filzen, und als sie nichts fanden, probierten sie es mit diesem Jungen, Curtis Hughes, dem jüngsten Opfer der Kategorie ›Afroamerikaner, männlich, bei Ankunft der Rettungskräfte bereits tot‹. Im besten Fall knackten sie so einen Mordfall. Im schlimmsten sorgten sie dafür, dass sich ein Junge ein bisschen in die Hose machte und sie für den späteren Abend eine lustige Anekdote hatten. Etwas, das man bei Wodka-Tonics in der Legends Bar erzählen konnte. Stattdessen aber lauschen vier Polizisten in Zivil am Ende ihrer Schicht irgendeinem Hispanic, der ihnen etwas – wovon labert der denn jetzt? – von einem Hund vorleiert, der zu einem Lied tanzt, das außer ihm aber niemand hören kann.
»Geh nach Hause«, schnauzt der Fahrer. Er guckt wie einer, der auf dem Pfirsich, in den er bereits gebissen hat, Schimmel entdeckt. »Ich will deine Visage hier nie wieder sehen«, sagt er. Das Standard-Tschüss Marke Ziviler. »Hast du kapiert? Comprende ? Geh nach Hause zu deinem Lover. Hier draußen bist du nicht sicher.« Die Bullen steigen in ihren 1997er Chevy Impala und rasen davon, lassen Alfredo zurück, allein, an einer Backsteinmauer in sich zusammengesackt.
5
Rikoschettschuss
Es ist mitten in der Nacht. Jose Sr. durchquert im Rollstuhl das papageienverseuchte Wohnzimmer der Batistas. Im Fernsehen läuft irgendeine Dauerwerbesendung – die übliche Steinreich-im-Handumdrehen-Masche; wie man schon vor dem Frühstück Tausende Dollar verdienen kann. Aber Isabel kann weder den Fernseher noch Jose Seniors verschwitztes Gesicht über ihrem sehen, weil sie die Augen fest verschlossen hält. Darin ist sie Profi. Die Meryl Streep des simulierten Schlafens. Die Metallstrebe des Schlafsofas gräbt sich ihr in die Hüfte, aber ihr ist nicht anzumerken, dass es sie stört. Als Jose Senior fragt, ob sie wach sei, antwortet sie mit einer kleinen Schnarchattacke: atmet tief ein und lässt die Luft pfeifend durch ein Nasenloch entweichen. Sie sabbert und zuckt. Ihre Augäpfel zucken hinter den Lidern, imitieren das heftige Hin und Her während der REM-Phase.
Puh, das ist schwieriger, als es aussieht. Ich möchte der Academy danken, meinem Agenten, den anderen Nominierten, meinem Freund Alfredo, meinem Baby Christian Louis …
»Hey, Isabel«, flüstert Jose. Sie riecht sein Rasierwasser. Sie hört, wie er Kirschen kaut, die Kerne in eine Schale spuckt. »Izzy?«
Während er sie beobachtet, beobachten die Papageien im Raum ihn. Lizette ist von ihnen total verzaubert: Holzpapageien, Plüschpapageien, Papageien aus Porzellan, die an dünnen Drähten von der Decke hängen oder sich drohend auf Beistelltischchen niedergelassen haben. Alfredos Mutter entstaubt sie wöchentlich; nichts Ungewöhnliches eigentlich, überlegt Isabel, da hier alles wöchentlich
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