Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
abgestaubt, gesaugt, geschrubbt, gewaschen oder kraftgereinigt wird. Es ist eine pingelig gepflegte Wohnung, in der mindestens genauso viele Gebote gelten wie in der Kirche – du sollst im Wohnzimmer nicht essen –, denen Jose sich widersetzt, sobald seine Frau in Richtung Bett schlurft. Jede Kirsche ist ein Protest, jeder Protest wird von den stets wachsamen Vögeln protokolliert.
    »Hörst du mich? Mädchen, bist du wach?«
    Natürlich kann sie ihn hören! Natürlich ist sie wach! In dieser Nacht einzuschlafen hieße, sich vom morgigen Tag geschlagen geben, und Isabel will das Eintreffen des Samstags so lange herauszögern, wie sie nur kann. Der Papagei mit der Uhr im Bauch ist allerdings der Meinung, es sei bereits weit nach Mitternacht, also längst Samstag, Isabel aber verwahrt sich gegen so eine engstirnige Korinthenkackerei. Sie sieht es so: Schläft sie nicht ein, wird es auch nicht Samstag, und wenn es nicht Samstag wird, wird auch Tariq nicht auftauchen, und wenn Tariq nicht auftaucht, kann alles so bleiben, wie es ist. So einfach ist das. In der Filmversion ihres Lebens ist heute Murmeltiertag. Allerdings mit einigen naheliegenden Unterschieden: die Hollywood-Version von Jose Senior wäre zum jetzigen Zeitpunkt längst weggedöst, so dass sie diese wertvollen Stunden allein für sich am Herd würde verbringen können, um für Alfredo die Große Überraschung vorzubereiten.
    »Schläfst du schon?«, flüstert Jose. »Hörst du mich denn gar nicht?«
    Als sie nicht reagiert, stellt er die Dauerwerbesendung lauter. Ein paar Fernseh-Dezibel mehr – das war alles, was er wollte. Er hatte nicht vor, zu ihr ins Bett zu steigen, um seine Füße an ihren zu reiben. Wie auch? Seine Beine tun’s nicht. Seit ungefähr acht Jahren ist er nun von der Hüfte abwärts gelähmt.
    W ürde Jose Senior im Lexikon nachschlagen, würde er folgenden Mumpitz finden:
    rikoschettieren (von frz. ricochet = Sprung, Aufprall), froschartig, hüpfendes Abprallen beim Rikoschettschuss, früher bei glatten Geschützen auf See u. in der Ebene mit Depression abgefeuerter Rollschuss mit Tiefenwirkung.
    Mit Depression abgefeuerter Rollschuss? Hallo? Eine solche Definition berücksichtigt überhaupt nicht, wie beiläufig, wie zufällig Schusswaffengewalt sein kann – hört sich an, als würde das Lexikon von der National Rifle Association gesponsert. Denn im westlichen Queens, in Brownsville oder Shaolin oder selbst in der Boogie Down Bronx kann man jeden danach fragen und wird die Antwort bekommen, so ein Querschläger sei ein Versehen. In der Lokalzeitung wird man das Wort stets im Doppelpack mit »unbeteiligte Zuschauer« finden. Hoppala! Querschläger sind der Grund dafür, warum die New Yorker Polizei angewiesen wird, stets auf die Körpermitte, auf den Solarplexus zu zielen, möglichst tödliche Schüsse abzufeuern. Denn versucht man, den Bösewicht zu erwischen, indem man auf sein Bein zielt, schießt man entweder daneben oder die Kugel durchschlägt den Oberschenkel und tritt an der anderen Seite wieder aus und dann – boing, klirr – hat man den Salat: einen Querschläger. Das spanische Wort dafür ist rebote .
    Jose Senior hatte am Tresen Dienst geschoben. Es war mitten in der Nacht. Während seine Familie in der Wohnung hinterm Laden schlief, hörte Jose ganz leise eine Sportsendung im Radio. Gelangweilt griff er sich ein Pornoheft aus dem Regal ( Club International ) und holte es aus der Plastikfolie. Wen kratzte das schon? Es war sein Laden, seine Waren. Er breitete das Blatt auf dem Tresen aus. Während er in die Faust gähnte, blätterte er die Seiten durch, hielt hier und dort inne, um etwas näher ranzugehen und eine Brustwarze genauer zu begutachten.
    Ein Junge kam in den Laden. Er war der erste Kunde seit über einer Stunde, und er hatte eine braune Papiertüte in der Hand, eine von der zerknitterten Sorte, in die man eine schwitzende Dose Modelo Especial einwickelte. Der Junge – Latino, möglicherweise sogar ein Puerto Ricaner, der vom Alter her Joses Sohn hätte sein können – hielt Alfredo die verknitterte Tüte ins Gesicht und sagte mit Männerstimme, er solle ihm das verschissene Geld rüberreichen.
    Jeder kennt diese Geschichte. Lizette, Alfredo, Tariq. Selbst Isabel kennt sie gut genug, um sie erzählen zu können. Aber niemand spricht mit dem gleichen Eifer, mit so viel gestischem Brimborium darüber wie Jose.
    Er flehte nicht um sein Leben. Er hatte schon einmal eine Knarre im Gesicht gehabt, und auch

Weitere Kostenlose Bücher