Die Prinzen von Queens - Roman
auszog. Aus dem einem zog er ein winziges Bündel Geld hervor, kaum mehr als drei oder vier Scheine, und warf sie Isabel vor die nackten Füße. Sie starrten einander an, Isabel und Alfredo, zwischen ihnen diese lachhafte Summe zerknitterten Geldes – vielleicht fünfunddreißig Doller, vielleicht weniger – und dann stieß Alfredo mit dem einen Fuß ins Wasser.
Sein Kopf fuhr zurück, knallte gegen die Wand hinter ihm. Sein Fuß kam aus dem Wasser. Er sah blassrosa-weiß und weich aus.
»Ist es zu heiß?«
»Willst du mich verarschen, Isabel?«
»Bitte schrei nicht.«
»Wer schreit denn hier?«
Sie drückte mit den Händen seitlich an ihren Bauch, als wolle sie Christian Louis die noch unterentwickelten Ohren zuhalten. »Und wenn du deine Mutter weckst?« Sie wussten beide, dass das unmöglich war. »Bitte«, sagte Isabel. »Bitte schrei nicht.«
»Wer schreit denn hier, Isabel?«
»Ich wollte dir doch nur eine Freude machen. Ich wollte bloß was für dich tun.«
»Das muss aufhören, dass mir alle helfen wollen. Bitte.« Alfredo wickelte sich ein Handtuch um den Fuß. Er hob den Kochtopf hoch und schaute darunter. »Der Vorleger ist total angeschmort. Weil du zurückgeblieben bist. Weil du ein Kind bist. Die Badematte meiner Mutter hat jetzt genau in der Mitte einen großen schwarzen Kreis.«
Das Wasser wurde weggeschüttet. Lizettes verbrannte Badematte wurde zusammengeknüllt und unters Schlafsofa gestopft, zusammen mit dem Epsom-Salz und der feuchten Unterhose. Und nun starrt Isabel also die Papageienuhr an. Sie ist überzeugt davon, dass sie gleich abhebt und ihr kreischend ins Gesicht fliegt.
Die Müllabfuhr biegt um die Ecke. Es ist 3.49 Uhr. Nachdem der Laster weg ist, horchen Isabel und Alfredo auf nichts. Bald werden die Zeitungsausträger kommen. Die New York Times , die Daily News , die Post , Newsday , El Diario . Es sind keine vorpubertären Jungs im Viertel, die im Schatten von Ahornbäumen herumradeln und die Morgenausgabe über Rosenbüsche hinweg auf »Willkommen«-Türvorleger werfen. Hier werden die Zeitungen von Männern ausgeliefert, von Einwanderern aus Ecuador, Kolumbien, Pakistan und Korea. Sie fahren mit Autos quer durch Queens, halten vor den Häusern auf ihrer Liste, rennen bei laufendem Motor raus und schmeißen dick in Plastik eingeschweißte Packen Zeitungen auf die Treppen. Bald werden sie da sein, die Männer. Und wenn sie kommen, wird es nicht mehr zu leugnen sein, dass ein neuer Tag begonnen hat. Der mitternächtliche Wechsel von Nacht- zu Tagzeit, der Sonnenaufgang, der piepende Müllwagen, die Morgenzeitungen – Isabel kann sich nicht länger etwas vormachen. Extrablatt, Extrablatt! Der Samstag ist im Anmarsch, ob sie will oder nicht. Sie und Alfredo liegen im Bett und warten. Die Stille liegt ihnen schwer auf der Brust.
»Hast du irgendwelche neuen Songs?«, sagt er.
Sie rückt weiter Richtung Bettkante.
»Nicht für mich natürlich«, sagt er. »Sing nicht für mich. Ich verdiene es nicht, einen neuen Song zu hören. Aber das Baby. Es ist nicht fair, dass das Baby keinen …«
»Du warst fies. Ich wollte dir bloß eine Freude machen. Ich hab einen Fehler gemacht. Tut mir leid. Aber du warst fies.«
»Ich bin ein schlechter Mensch«, sagt Alfredo. Er streckt die Hand nach ihr aus. Berührt ihren Bauchnabel, der sich vor Kurzem nach außen gestülpt hat. »Das ist dein Mikrofon. Dieser Bauchnabel hier. Sing da rein. Wenn du willst, halte ich mir auch die Ohren zu. Pack mir ein Kissen auf den Kopf.«
Isabel verfügt über einen unerschöpflichen Reichtum an Wiegenliedern. Alfredo nimmt an, sie hat sie in ihrer Kindheit mitbekommen. Er nimmt an, ihre Mutter hat sie an sie weitergegeben. Was allerdings keineswegs der Fall ist. Isabel ist in einem vollkommen musiklosen Haushalt aufgewachsen und musste sich die Wiegenlieder hart erarbeiten. Heimlich, ohne dass außer Christian Louis jemand davon weiß, geht sie zur Bücherei, loggt sich auf einem Computer ein und durchforstet das Internet. Sie schreibt sich die Texte raus und prägt sie sich ein. Da sie keines der Lieder je gehört hat, muss sie sich die richtigen Rhythmen und Kadenzen selbst hinbasteln – und so übt sie also nachts. Probt richtig.
Alfredo legt eine Hand auf ihren Bauch. »Der kleine Mann hat einen harten Tag hinter sich«, sagt er. »Krankenhaus und den ganzen Scheiß. Uns beim Streiten zuhören. Du brauchst jetzt ein kleines Schlaflied. Oder wenigstens ein halbes.«
Sie hat sich gerade erst
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