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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Überwachungskamera versteckt ist, ob irgendwo in einem winzigen Kämmerchen voller Monitore ein kalkweißer Mann sitzt, der ihm auf den Kopf glotzt. Nun denn. Wie sagt man so schön, wer nichts wagt, der nichts gewinnt.
    Er schält die Snickers, KitKats, Goodbars, Charleston Chews und die Hershey’s Kisses aus ihren Verpackungen. Die Schokolade – schwer sonnengeschädigt, taschengequetscht – ist schön weich geworden. Sie riecht süß, intensiv süß, ekelhaft süß, und einen Moment lang wird ihm etwas schummerig. Da er nicht anders kann, isst er einen Charleston Chew. Die übrigen schmiert er an die Wände der Umkleidekabine. Vorsichtig, um ja nicht seine neue Rocawear-Jeans zu versauen, schüttelt er ein weiches, tropfendes Snickers über der Sitzbank, besprenkelt die Holzlatten. Den Spiegel schmiert er mit Goodbars voll, macht Schokoladenhalbmonde auf das Glas. Während er KitKats in den Teppich matscht, bemerkt er in der Ecke der Kabine eine Feder. Sie liegt auf dem Boden, die beiden Enden nach oben gekrümmt. Noch ein Halbmond! Da hat wohl jemand eine Daunenjacke anprobiert. Ob sie hier seit dem Winter liegt? Tariq kann sich das beim besten Willen nicht vorstellen. Er wendet sich der Kabinentür zu und schmiert den Knauf mit Hershey’s Kisses ein.
    So eingesaut waren seine Hände seit der Little League nicht mehr. Nicht mehr, seit er auf einem schlammbedeckten Infield in die Second Base geschlittert war. Die Einwickelpapierchen der Hershey’s Kisses – diese dünnen, metallischen Folien – haben abgefärbt, und jetzt glitzern seine Handflächen und Finger silbrig. Zeit, klar Schiff zu machen. Das tut er so gut es geht, indem er sich die Hände an den rauen Innenseiten seiner Fishkill-Jeans abreibt. Er saugt die Schokolade unter seinen Fingernägeln weg. Die Verpackungen, die drei Dollar Pizzageld, die Entlassungspapiere – das alles stopft er in die Taschen seiner neuen Rocawear. Die alte zusammengeknüllte Hose in der Faust und erhobenen Hauptes verlässt er die Umkleidekabine und geht schnurstracks auf das lilahaarige Mädchen zu.
    »Wen haben Sie denn da hinten reingelassen?«, sagt er.
    »Wie bitte?« Sie faltet ein Karohemd vor ihrer Brust, den Kragen unters Kinn geklemmt, was den Vorgang leichter macht, es ihr ermöglicht, schneller zum nächsten überzugehen. »Verzeihung. Ich habe Sie nicht verstanden.«
    »Ich habe gefragt, wen Sie da hinten reingelassen haben. Crackjunkies?«
    »Verzeihung?«
    »Nein, Sie verzeihen jetzt mal, ich würde nämlich gern verstehen, was sich hier in ihren vollgeschissenen Umkleidekabinen abgespielt hat.«
    Sie hebt den Kopf, um ihn anzuschauen, und dabei fällt ihr das Hemd runter.
    »Kot«, sagt er. »Ich rede hier von Kot, den jemand da an die Wände geschmiert hat.« Er knallt ihr die Fishkill-Jeans auf den Tisch. Beugt sich vor, verringert den Abstand zwischen ihnen. »Ich geh nach hinten, schau in eine der Kabinen und seh, dass da überall Scheiße ist. Da hinten. Hallo? Hören Sie mich? Da hat jemand Durchfall an die Wände geschmiert. Verstehen Sie? Ich sag’s nur, damit Sie jemanden rufen können, der da mal saubermacht.« Er fährt mit dem Kopf zurück, was überzeugend wirkt. »Es sei denn, Sie wissen schon Bescheid. Es sei denn, Sie haben es die ganze Zeit gewusst und finden es okay, den ganzen Tag in einer Crackhöhle zu arbeiten, wo man an die Wände kackt.«
    »Nein«, sagt sie leise. Sie kaut auf der Unterlippe, die Zähne klicken gegen das Piercing. »Davon weiß ich überhaupt nichts.«
    »Na, das ist ja wenigstens mal eine gute Nachricht.«
    Das rosahaarige Mädchen löst ein Sprechfunkgerät vom Hosenbund. Spricht aber nicht hinein. Mit dem Gerät in der Hand schlängelt sie sich hinter ihrem Tisch hervor und steuert auf die Umkleidekabinen am Ende des Gangs zu. Sie geht langsam, setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Kabinentür steht weit offen, und wenn das rosahaarige Mädchen dort ankommt und reinschaut, schreit sie vielleicht oder rennt weg oder lässt das Sprechfunkgerät fallen oder reißt sich ihr Macy’s-Namensschild ab und schleudert es auf den Boden. Tariq weiß es nicht. Er weiß nicht, was sie sagt oder tut, weil er längst über alle Berge ist.
    In seiner noch steifbeinigen Designer-Jeans geht er durch die Herrenabteilung und die Handtaschenabteilung und die Reizwäscheabteilung. Zwei Kleiderschränke vom Sicherheitsdienst in dunkelblauen Blazern rennen auf ihn zu. Als sie näher kommen, trennen sie sich und laufen

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