Die Prinzessin
Rolle noch ein paar Stunden weiter, aber dann bat sie um eine Ruhepause. Danach gab sie einen Befehl nach dem anderen, scheuchte Lady Werta durch die Gegend und schickte das Essen in die Küche zurück, weil sie es nicht mochte. Sie ließ Kleider ändern und schickte den Oberhofmeister aus dem Zimmer, weil er in ihrer Gegenwart rauchte.
»Sie macht es jetzt besser, nicht wahr?« fragte der Oberhofmeister auf Lankonisch.
»Wenn Sie es so ansehen wollen — ja«, gab Lady Werta erschöpft zu und strich eine lose Haarsträhne zurück. »Sie ist jetzt fast so arrogant wie eine echte Prinzessin.«
»Können wir sie schon der Familie vorführen?«
»Heute abend. Man beginnt sich bereits zu fragen, wo die Prinzessin steckt. Haben Sie schon etwas über die Höhe des geforderten Lösegeldes gehört?«
»Sie verlangen Millionen«, sagte der Oberhofmeister niedergeschlagen. »Ich weiß nicht, wie wir die Summe aufbringen sollen.«
»Geht es Seiner Majestät gut? Hat er bestimmt nichts von der Entführung erfahren?«
»Er hält sich in seinem Jagdschloß auf. Es ist zwar schwierig, ihm alles zu verheimlichen, aber noch weiß er nichts. Er wünscht seine Enkelin möglichst bald zu sehen. Im Augenblick hält sich Prinzessin Eugenia bei ihm auf.«
Lady Werta seufzte: »Wir müssen sie bald soweit haben. Ich hoffe sehr, daß der König diese Farce nicht durchschauen wird. Wir sollten dankbar sein, daß die echte Prinzessin eine so gefühlskalte Frau ist. Niemand wird sich an ihrem kühlen Benehmen stoßen.«
Aria hörte dem ungläubig zu. In Amerika war sie nicht gefühlskalt gewesen! »Es ist sehr ungezogen von Ihnen, in meiner Gegenwart eine Sprache zu sprechen, die ich nicht verstehe«, sagte sie ärgerlich. »Kommen Sie her und zeigen Sie mir wieder diese Fotografien. Wer lebt im Palast?«
Arias Rückkehr in den Palast vollzog sich in größter Heimlichkeit. Sie saß tief verschleiert im Fond einer schwarzen Limousine, so daß niemand sie erkennen konnte. Der Oberhofmeister, der während der ganzen Fahrt geschwiegen hatte, ließ sich kurz vor der Ankunft dazu herab, ihr einige Maßregeln mitzuteilen: »Sie dürfen niemals vergessen, daß Sie die Kronprinzessin sind! Sie dürfen auch nicht eine Sekunde nachlässig sein! Sie dürfen vor allem nicht in diesen amerikanischen Brauch verfallen, über alles zu lachen!«
Aria wollte etwas erwidern, doch dann ließ sie es lieber. Es war viel besser, darüber zu lachen. Der Oberhofmeister wäre sicher entsetzt, würde sie ihm jetzt erklären, daß sie einen Jitterbug-Wettbewerb im Großen Salon veranstalten wollte. Grillen am Fluß wäre auch nicht übel. Ob Julian wohl mitmachen würde? Natürlich würde sie dabei Blue jeans tragen. Sie lächelte, als sie sich Großtante Sophie in Jeans vorstellte.
»Sie hören mir ja gar nicht zu«, fauchte der Oberhofmeister erbost.
Wieder unterdrückte Aria eine passende Erwiderung. Früher war ihr dieser Mann als Abbild väterlicher Güte erschienen. Sicher hatte sie gehört, daß er außerhalb des Palastes nicht gerade beliebt war. Es gab Klagen über Ungerechtigkeiten und allzu großer Härte. Aria hatte diese Berichte immer als übertrieben verworfen. Er war stets so bescheiden und liebenswürdig gewesen, daß Aria diese Gerüchte böswilligen Neidern zugeschrieben hatte. Doch jetzt kannte sie nicht nur sein prunkvolles Landhaus, sondern hatte auch erlebt, wie ekelhaft er Untergebenen gegenüber war. Sie schwor sich, ihn genau zu überprüfen.
Momentan leierte er noch einmal ihre Pflichten herunter. »Hat diese Prinzessin denn nie Spaß?« fragte Aria in einem lauten, ordinären Ton. Sein entsetztes Zusammenzucken freute sie. »Ich meine, sie hat doch einen Freund, oder? Wann treffen sich die zwei denn mal, um zu knutschen?«
»Graf Julian —«, er schluckte schwer, »— knutscht nicht! Er ist als Ehemann für Ihre Königliche Hoheit eine ausgezeichnete Wahl! Wenn Sie mit ihm Zusammentreffen, werden Sie nie mit ihm allein sein — niemals! Ihr Benehmen sollte stets untadelig sein.«
Aria blickte weiter aus dem Fenster. Ein Teil von ihr begann Mitleid mit der armen Prinzessin zu haben, die sich niemals von ihren Pflichten erholen durfte. Aber sie hatte sich in Amerika sehr verändert — bald würde ein frischer Wind durch den Palast wehen!
Lady Werta hatte Aria einen Grundriß des Palastes gezeigt, ihr aber gleichzeitig erklärt, daß der Oberhofmeister sie in so viele Räume wie möglich führen würde. Man hatte das Gerücht
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