Die Prinzessin
Abwesenheit wie eine flüchtige Bekannte. »Sprechen wir Englisch, ja? Wenn wir mit diesen Amerikanern Geschäfte machen wollen, müssen wir schließlich in der Lage sein, uns mit ihnen zu unterhalten. Sie lernen nämlich keine Fremdsprachen dort.« Sie blickte ihn an, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte. Freddie war ein kleiner, dünner Mann. Er hinkte leicht. Aria hatte Freddie nie sonderlich beachtet, niemand tat das, aber jetzt glaubte sie, Wut in seinen wäßrigen Augen aufblitzen zu sehen. Er war Nummer drei in der Thronfolge. War er so erpicht auf den Thron, daß er dafür sogar morden würde?
»Du siehst gut aus, Aria«, schrie Großtante Sophie. Die alte Dame war fast taub, weigerte sich aber, es zuzugeben, Ihr Kleid entsprach dem einer Zwanzigjährigen. >Nur Tante Sophie bringt es fertig, sich so unumgänglich zu kleiden«, dachte Aria amüsiert. Babyblaue Chiffonrüschen umwallten ihren Körper, der tiefe Ausschnitte entblößte fast unzüchtig ihre welken Brüste. Arias Großvater behauptete, daß sie es nie aufgegeben hätte, nach einem Mann zu suchen. Aber bis jetzt hatte noch keiner angebissen.
»Gut genug, wenn man bedenkt, daß ich fast gestorben wäre«, schrie Aria zurück. Alle sahen sie überrascht an. Prinzessin Aria hatte noch nie Ihre Stimme erhoben.
»Gut«, donnerte Tante Sophia, dann forderte sie den Diener auf, ihr noch mehr Brandy einzuschenken.
»Ich bin auch froh, daß es dir wieder gutgeht«, erklang eine sanfte Stimme. Aria sah sich Graf Julian gegenüber.
J. T. hatte sich immer über ihn lustig gemacht und behauptet, er wäre weibisch. Aber Aria fand ihn männlich. Natürlich war er nicht so groß und stark gebaut wie J. T., doch könnte ihr weitaus Schlimmeres passieren. Er sah ganz gut aus, hatte ihre Größe und das aufrechte, straffe Gehabe des geborenen Soldaten.
»Willkommen daheim«, sagte Julian, ergriff ihre Hand und küßte sie. »Wünschst du einen Aperitif vor dem Essen? Einen Sherry vielleicht?«
»Ja, bitte«, erwiderte sie und blickte ihm nach, als er sich entfernte. Wie würde er als Ehemann sein? Würde er zum Tiger werden, wenn die Türen des Schlafzimmers sich hinter ihnen geschlossen hatten? Sie lächelte ihm zu, als er mit ihrem Glas zurückkehrte. Er stand schweigend neben ihr, und Aria bemerkte, wie wenig sie bisher miteinander gesprochen hatten.
Sie sah sich unter den anderen Anwesenden um. Da waren die Vettern Nickie und Toby, Tante Bradley und ihre junge Cousine Barbara, Nummer sieben in der Anwartsliste auf den Thron.
»Wo sind Cissy und Gena?« fragte sie Julian nach dem Verbleib ihrer Schwester und der ihres Vetters Freddie, von der sie wußte, daß sie sich in amerikanischen Gewahrsam befand.
»Beide haben Seine Majestät aufs Jagdschloß begleitet« , antwortete er.
Die Mahlzeit verlief tödlich langweilig. Die Männer sprachen nur über die Jagd. Großtante Sophie schrie beständig und versuchte eine Konversation aufrechtzuerhalten, die mehr einseitig war, weil sie keine Antwort richtig verstand. Freddie, Nicky und Toby verhielten sich so affektiert, daß Aria sie am liebsten zurechtgewiesen hätte, und Barbara machte jedem männlichen Wesen schöne Augen, wobei sie ihr großes Dekollete freigiebig allen Blicken darbot.
»Für Barbara muß dringend ein Mann gefunden werden«, sagte Aria leise.
Julian sah sie überrascht an, entgegnete jedoch nichts.
>Wären sie wohl überrascht«, dachte,Aria, >wenn ich jetzt anfangen würde, zu flirten?« Sie warf einen Blick auf Julian, der gerade in vollendeter Manier seinen Stör in Dillsauce verzehrte. Sie fragte sich, ob er sehr schockiert wäre, wenn sie ihm verführerische Blicke zuwerfen würde.
Mit klopfenden Herzen legte sie ihre Hand auf seine. »Willst du dich nach dem Abendessen mit mir im Königsgarten treffen?«
Er nickte kurz, und sie sah deutlich das leichte Stirnrunzeln, als er die Hand fortzog. Sie hatte gerade etwas getan, was einer Kronprinzessin nicht ziemte.
Sie wandte sich wieder Tante Sophie zu, die ihr gerade eine Frage zugebrüllt hatte.
Nach dem Essen hatte Aria große Mühe, Lady Werta zu entkommen, die so aussah, als ob der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen war. Aria schlüpfte durch den grünen Salon, das Marszimmer, über die Galerie der Könige auf den Hof des weißen Pferdes. Danach lief sie durch die griechische Orangerie und erreichte schließlich den Königsgarten.
Julian erwartete sie stirnrunzelnd.
Er war sechzehn Jahre älter als sie, und sie hatte immer
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