Die Probe (German Edition)
geworden. Kinder, die sie nie hatte und vermutlich nie haben würde. Etwas wehmütig ging sie an der Tür zur leeren Wohnung vorbei und verließ das Haus. Auf dem kurzen Fußweg zum Institut dachte sie nicht an die anstehende Arbeit des Tages, sondern hing nicht zum ersten Mal trüben Gedanken über ihr Leben nach. Jetzt, nachdem sich die Erregung über Ryans Tod, die Aufregung über ihren Umzug nach München und die Gründung der Firma in Würzburg gelegt hatten, jetzt, da sie sich hier am Institut ihr neues Reich aufgebaut hatte und der Alltag einkehrte, jetzt kamen ihr allmählich Zweifel. Zweifel am Sinn ihrer Lebensweise, am Ziel ihres Lebens. Midlife-Crisis. Mit Schrecken stellte sie fest, dass der Begriff kein leeres Schlagwort mehr war. Die Krise hatte sie voll erfasst.
Die Teambesprechung brachte es an den Tag: auch die Arbeit an der Weiterentwicklung der Solarzellen stockte. Einer der Chemiker musste eine ganze Testreihe wiederholen, weil Instrumente fasch kalibriert waren. Ein grober Fehler, kein Zweifel, aber dass sie ihrem Ärger an der Sitzung freien Lauf ließ, war neu für ihre verstörten Mitarbeiter. In gedrückter Stimmung verließen sie das Sitzungszimmer.
Beim Hinausgehen hielt sie ihren IT-Spezialisten zurück.
»Sohan, einen Augenblick bitte.« Der junge Mann, dessen Lächeln sonst nie von seinem Gesicht verschwand, zuckte verängstigt zusammen.
»Ja – was kann ich für dich tun?«
»Gehen wir in dein Büro. Ich habe eine Bitte.«, antwortete Lauren. Sie schämte sich für ihren unbeherrschten Auftritt und versuchte, den Burschen mit einem Lächeln zu beruhigen. Ein Lächeln, das ihr gründlich misslang. Sie zog den Sessel eines unbenutzten Arbeitsplatzes heran und setzte sich neben ihn. »Während der Sitzung hatte ich plötzlich eine Eingebung, und die möchte ich gerne mit dir besprechen, bevor ich mich vor allen blamiere.« Der junge Mann schien wieder etwas Selbstsicherheit gewonnen zu haben und wartete gespannt.
»Die ungeplante Verzögerung gibt uns etwas mehr Zeit«, fuhr sie fort. »Das gibt uns doch die Gelegenheit, mehr in die Automatisierung der Synthese zu investieren, wie du schon mehrmals vorgeschlagen hast.« Seine Gesichtszüge hellten sich auf. »Ja, ich weiß, ich habe stets abgeblockt«, lachte sie. »Der ursprüngliche Plan hat mir keine andere Wahl gelassen. Aber nach der heutigen Sitzung bin ich der Meinung, dass wir die Zeit dazu nutzen sollten, so viele menschliche Fehlerquellen wie möglich zu eliminieren.«
»Meine Worte«, murmelte er. Das fröhliche Grinsen war zurück in seinem Gesicht. »Wenn ich dich richtig verstehe, sollen wir die Software für die Synthesesteuerung endlich in Angriff nehmen. Das Design liegt in der Schublade, aber die Module bestehen bis jetzt aus lauter Stubs, aus nichts als nichts. Ich finde das eine ausgesprochen sympathische Idee, Lauren.« Sie nickte zufrieden und erhob sich.
»Gut, dann haben wir uns verstanden. Priorität hat natürlich weiterhin die Kontrollsoftware für Amareleja.« Sie schob den Stuhl an seinen Platz zurück und stutzte.
»Was ist denn das?«, entfuhr es ihr. Sie hob das Kärtchen auf, das auf der sonst leeren Schreibunterlage lag. Francescas Visitenkarte. »War jemand hier?«, fragte sie verblüfft.
»Ach, ja. Dr. Conway war kurz hier gestern Morgen.«
Charlie – warum hatte er sich nicht bei ihr gemeldet? »Was wollte er?«
»Hat kurz telefoniert und ein paar Sachen kopiert, die ich für ihn versandt habe, irgendeine Adresse in der Schweiz. Dann hatte er es plötzlich sehr eilig.«
»Telefoniert? Von hier aus?«, fragte sie argwöhnisch. Er nickte. Sie betrachtete das Kärtchen nachdenklich. Schließlich gab sie der Versuchung nach und rief die gewählten Nummern auf dem Display des Telefons ab. Wie befürchtet, stimmte die letzte Nummer mit Francescas Handynummer überein. Wortlos verließ sie das Büro und zog sich in ihr eigenes zurück. Ihre Mitarbeiter brauchten ihr beim Schmollen nicht zuzusehen. Was lief da zwischen den beiden? Der Tag versprach nicht besser zu werden.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und wählte Charlies Handynummer. Nach langem Läuten meldete sich nur die Stimme des Anrufbeantworters. Kurz entschlossen rief sie im Hotel Platzl an. Der Gast sei für ein paar Tage verreist, antwortete eine freundliche Männerstimme. Sie knallte den Hörer auf die Gabel, ohne sich zu bedanken. Ihr Magen zog sich zusammen, ihr Atem ging schneller. Sie schmollte nicht mehr, sie war
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