Die Probe (German Edition)
Wohnsitz kannte, eine feudale Privatvilla mit allen Schikanen am Rande des kleinen Dorfs Feusisberg, auf einer Sonnenterrasse hoch über dem oberen Zürichsee. Er war überzeugt, dass ihm niemand gefolgt war. Einigermassen erholt von seiner überstürzten Flucht, trat er mit einem groszügig gefüllten Cognacschwenker auf die Terrasse. Seine Hände zitterten noch immer beim Gedanken an die rohe Gewalt, der er ausgesetzt war und die er selbst anwenden musste. Die Gefahren, denen er bisher begegnet war, hatte er stets mit seinem scharfen Verstand, schneller Auffassungsgabe und einer gewissen Coolness bewältigt, denn sie bestanden nur aus abstrakten Zahlen. Bis gestern Abend. Moser und sein Gehilfe hatten ihn gelehrt, was es hieß, körperlich bedroht zu werden. Das erste Mal hatte er wahrhaftig um sein Leben gefürchtet.
Er trank einen kräftigen Schluck des würzigen Branntweins. Sein Blick schweifte ein letztes Mal über die grünen Wiesen und Wälder unter seinem Haus auf die Dächer des Fleckens Pfäffikon, das Inselchen Ufenau im Frauenwinkel, den Seedamm, über den man trockenen Fußes ins mittelalterliche Städtchen Rapperswil am anderen Ufer gelangte und weiter über die Hügel des Toggenburgs zu den Felsen des Säntismassivs. Diese ungehinderte Fernsicht über eine friedliche Märchenlandschaft ließ sogar einen trüben, regnerischen Tag wie diesen angenehm erscheinen. Klar, er würde diese Umgebung und sein Haus vermissen, doch es blieb ihm keine andere Wahl, als seinen Auszug aus dem Paradies wie geplant durchzuführen. Vor allem nach der brutalen Lektion der letzten Nacht.
Trübsinnig ging er ins Haus zurück und begann, die Koffer zu packen. Staunend bemerkte er, wie er auf Schritt und Tritt Francescas Spuren begegnete, als er durch die Zimmer streifte. Obwohl sie nicht bei ihm gewohnt hatte, gab es doch kaum einen Winkel, der nicht an sie erinnerte, auch wenn kein einziges Foto von ihr herumstand. Trotz seiner grenzenlosen Enttäuschung, ja Wut über ihren Verrat schmerzte ihn die Trennung mehr als er zugeben mochte. Lebensabschnittspartnerin , dachte er grimmig. Dieses Unwort bekam plötzlich eine sehr reale Bedeutung, die er sich so nie vorgestellt hatte. Er trank den Rest des Schnapses, spülte das Glas und stellte es ordentlich aufs Abtropfbrett seiner noch fast jungfräulichen Kochinsel. Im Geiste überprüfte er nochmals jeden Punkt seiner Checkliste für die Ausreise. Mit den Gedanken an die Zukunft kehrte auch seine Kaltblütigkeit, die manchmal an Zynismus grenzte, zurück. Kein Zweifel, im neuen Lebensabschnitt würde sich bei Bedarf auch wieder eine geeignete Partnerin finden lassen. Dafür reichte sein Geld allemal.
Er öffnete die Haustür, um ein letztes Mal den Briefkasten zu leeren, und schaute ins grinsende Gesicht des falschen Polizisten Moser.
»Schön, Sie so bald wiederzusehen, Mr. Hogan«, sagte er eine Spur zu freundlich. Er trat einen Schritt näher, und seine Pistole zeigte genau auf Michaels Brust. Kreidebleich stolperte er rückwärts ins Haus zurück, den Blick starr auf die Mündung der Waffe fixiert.
»Was – was wollen Sie?«, stammelte er entsetzt.
»Ich will gar nichts«, antwortete Moser, immer noch freundlich lächelnd. Ohne Michael aus den Augen zu lassen, schloss er die Tür, drehte den Schlüssel und steckte ihn ein. Dann verschwand das entnervende Grinsen aus seinem Gesicht, und er befahl in schneidendem Ton: »Taschen leeren, ganz langsam, eine nach der anderen!« Er gehorchte augenblicklich. Als Moser überzeugt war, dass er nichts mehr auf sich trug außer Hemd und Hose, drängte er ihn zur Treppe und schnauzte: »In den Keller!« Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er zögerte. »Wird’s bald?«, rief Moser ärgerlich.
»Warum erschießen Sie mich nicht gleich hier?«, murmelte er mit zittriger Stimme, stieg aber folgsam die Treppe hinunter. Er erwartete jeden Augenblick eine Kugel zwischen den Rippen.
»Stehen bleiben, mit dem Gesicht an die Wand, Arme und Beine spreizen!«, herrschte ihn Moser an, als sie unten ankamen. Es ist aus , schoss es ihm durch den Kopf. Um ein Haar wären seine Knie eingeknickt. Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. Er hielt den Atem an, kniff die Augen zu und wartete wie gelähmt auf den tödlichen Schuss. Doch nichts dergleichen geschah. Er hörte, wie Moser die Türen im Kellergeschoss öffnete und wieder schloss, bis er offenbar fand, was er suchte. »Hier hinein!«, befahl er und dirigierte ihn in den
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