Die Probe (German Edition)
Weinkeller. »Genießen Sie den Aufenthalt«, höhnte er, knallte die Tür zu und schloss von außen ab.
Gefangen im eigenen Weinkeller. Die Ironie der Situation trotzte Michael doch noch ein müdes Lächeln ab, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. Er zündete das Licht an und setzte sich auf die einzige Sitzgelegenheit, ein reichlich verlottertes rotes Ledersofa. Das Sofa! Wieder durchfuhr ihn die schmerzliche Erinnerung an bessere Zeiten mit Francesca. Dieser Raum war weit mehr als eine dunkle Lagerstätte für seine stolze Kollektion teurer Jahrgänge. Wie er sich mit ihr auf diesem roten Leder oft hemmungslos und einfallsreich bis zur Erschöpfung ausgetobt hatte, dürfte auch manch abgebrühtem Zuschauer die Schamröte ins Gesicht getrieben haben. Diese goldene Zeit war endgültig vorbei. Einmal mehr innerhalb weniger Stunden musste er dringend einen Ausweg aus einer ausweglosen Lage finden.
Der Weinkeller war fensterlos, alle vier Wände bis auf die Türöffnung mit Gestellen bedeckt, in denen an die tausend Flaschen lagerten, fein säuberlich nach Provenienz und Jahrgang geordnet. Nicht wenige der staubigen Bordeaux hatten Seltenheitswert, waren reine Handelsobjekte, die man bewunderte, sorgsam hegte und pflegte und auf keinen Fall trank. Der Boden bestand weitgehend aus gestampfter Erde, wie sich das für einen guten Weinkeller gehörte. Trotzdem war der Raum zusätzlich klimatisiert, um Temperatur und Feuchtigkeit möglichst perfekt konstant zu halten. Die Klimaanlage – natürlich, es gab einen zweiten, verborgenen Ausgang! Gegenüber der Tür befand sich ein Durchgang zum Geräteraum, den er vor Jahren einfach verschloss, als die Klimatisierung und die Gestelle installiert wurden. Und vom Geräteraum führte eine Tür unterhalb der Terrasse nach draußen. Aufgeregt sprang er auf, lauschte an der Kellertür, und als alles ruhig blieb, begann er, das Gestell vor dem Durchgang hastig zu räumen.
Nach wenigen Minuten stand er vor der zweiten Tür, deren Schlüssel immer noch steckte. Sein Puls raste. Er fasste neuen Mut, drückte die von Gartengerät verstellte Tür mit aller Kraft auf, schlüpfte hindurch und streckte seinen Kopf kurz darauf vorsichtig ins Freie. Noch nie hatte feuchte Landluft so gut gerochen. Bisher hatte er unwahrscheinliches Glück. Niemand war zu sehen. Eng an die Wand gepresst schlich er zur Mauer an der Talseite des Pools. Am Ende des Beckens hielt er inne und lauschte. Immer noch blieb alles ruhig, aber es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis Moser seinen Ausbruch bemerkte, und dann wollte er so weit wie möglich von hier weg sein. Es war ihm klar geworden, dass er es diesmal nicht ohne fremde Hilfe schaffen würde. Er musste wohl oder übel die Polizei einschalten, wenn er überleben wollte. Sein Plan war einfach: so schnell wie möglich unter die Leute und an ein Telefon. Bei einem seiner unbekannten Nachbarn anzuklopfen erschien ihm zu unsicher, also entschloss er sich, den kurzen Straßenabschnitt zur ›Luegeten‹ hinunter zu laufen, einem bekannten und gut besuchten Aussichtsrestaurant in der Nähe. Jeden Busch und Baum als Deckung nutzend, rannte er querfeldein zu einem Waldstück, das zur Strasse führte. Er hatte es schon fast erreicht, als er einen kräftigen Stoss in den Rücken spürte und der Länge nach ins nasse Gras fiel.
»Was zum Teufel ...«, rief er völlig verwirrt und wollte sich rasch aufrappeln, doch als er aufblickte, hatte er die drohend geöffnete Lefze eines riesigen schwarzen Dobermanns vor Augen. Das Tier fixierte ihn mit starrem Blick und knurrte böse. In ohnmächtiger Wut stieß er einen heiseren Schrei aus. Nackte Angst verlieh ihm ungeahnte Kräfte und schaltete jedes rationale Denken aus. Er sprang auf, versuchte sich mit einem gewaltigen Satz aus dem Bereich der gefährlichen Zähne zu katapultieren, aber der Hund war schneller. Das Gebiss des Tiers hielt sein rechtes Bein wie ein Schraubstock fest. Ein Wunder, dass keine Knochen splitterten.
»Er ist gut erzogen«, hörte er Mosers verhasste Stimme in seinem Rücken. »Sonst wären Sie jetzt tot.«
KAPITEL 10
München
L auren schloss die Wohnungstür ab und stieg die Treppe hinunter. Es war still im Haus, still geworden, nachdem Renate und ihre quirlige Mitbewohnerin ausgezogen waren. Sie mussten in der Nähe ihrer jungen Firma sein, das verstand sie natürlich. Trotzdem tat es ein bisschen weh, ihre langjährige Assistentin ziehen zu lassen, als wäre eines ihrer Kinder flügge
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