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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sie Angst hatte, vornüberzustürzen. Mit beiden Händen klammerte sie sich an die steinerne Balustrade. Alles vor ihr verschwamm wie im Fieberwahn - Köpfe, Säulen, Segmente - zu einem lodernden Kaleidoskop, das ihr den Atem nahm und ihre Stimme lähmte. Dann jedoch brach plötzlich ein verirrter Sonnenstrahl durch eines der Fenster, und der Tumult in ihr kam zur Ruhe. Jetzt konnten die Worte ungehindert aus ihr strömen, denn sie wusste, das Lebendige Licht leitete und führte sie.
    »Die Magister und Prälaten haben die Gerechtigkeit verlassen und schlafen.« Mit jedem Wort gewann die Magistra größere Gelassenheit. »Man neigt dazu, viele Sünden zu vergessen. Daher werden feurige Strafgerichte über die Stadt kommen, wenn die Sünden nicht durch Buße getilgt werden, wie es bei Jonas geschah …«

    Die Menschen dort unten in den Kirchenbänken lauschten gebannt, das konnte sie spüren. Doch hatte sie auch ihre Herzen erreicht?
    Schweißnass und innerlich noch immer sehr aufgewühlt, verließ Hildegard an Volmars Seite nach dem Hochamt den Dom durch einen Seiteneingang.
    Die Gläubigen hatten sich schon zerstreut. Der Blick der Magistra glitt über den verregneten Domplatz. Ein paar Spatzen pickten in den Pfützen nach Futter, sonst war er leer.
    Von Theresa keine Spur. Die Pforte, der ihre ganze Hoffnung gegolten hatte, war verwaist.

KONSTANZ - SPÄTHERBST 1162
    Jetzt, im November, glich der große See einem grauen Meer. Dicke Schwaden hüllten ihn allmorgendlich ein, und manchmal wurde es früher Nachmittag, bis die Nebel sich lichteten. Ein Paradies für Lachmöwen und Kolbenenten, für Kormorane, Schwäne und Blesshühner - wäre da nicht die große Zeltstadt gewesen, die viel zu nah am Wasser aufgebaut war. Wegen des seit Monaten anberaumten Hoftags waren alle Quartiere der kleinen Stadt überfüllt; so blieb für viele Ritter nur diese notdürftige Unterbringung übrig, die sie freilich seit Langem gewohnt waren.
    »Beinahe, als wäre der Krieg noch immer nicht zu Ende!«, schimpfte Gero, als morgens nach dem Aufwachen alles klamm und feucht war. »Unsere Brünnen beginnen zu rosten wie Sau. So gut können wir sie gar nicht mit Fett einreiben, um das wieder wettzumachen!«
    »Der Krieg wird schneller wieder beginnen, als uns lieb
sein kann«, sagte Freimut. »Ich traue diesen Lombarden nicht. Jetzt, nachdem das kaiserliche Heer diesseits der Alpen angelangt ist, rebellieren sie doch bestimmt von Neuem.«
    »Von mir aus!«, rief Gero und zog die Nase kraus, als er feststellen musste, dass auch seine Stiefel nass geworden waren. »Kämpfen ist mein Leben. Das bin ich schon meinem toten Vater schuldig, der sicherlich stolz wäre, könnte er mich so sehen. Was soll ein Ritter schon im Frieden anfangen? Da wird man doch nur lange vor der Zeit lahm und faul und grau.«
    Um sich die Zeit zu vertreiben, während die hohen Fürsten den Hoftag abhielten, hatten die beiden damit begonnen, mit Pfeil und Bogen Wasservögel zu schießen, und anfangs auch gute Beute gemacht. Inzwischen jedoch erhoben sich ganze Geschwader keckernd und gackernd, sobald die zwei nur in Sicht kamen.
    »Was mich betrifft, so würde ich gern einmal zur Ruhe kommen«, sagte Freimut. »Von den rastlosen Jahren im Sattel hab ich allmählich genug. Sich irgendwo niederlassen, ein Weib freien, Kinder aufziehen - das stell ich mir sehr schön vor.«
    »Du redest wie ein Bauer«, spottete Gero und begann, flache Steine ins Wasser zu werfen, die über die Oberfläche dahinschlitterten und Kreise zogen, wobei er erstaunliche Geschicklichkeit an den Tag legte. »Fehlte nur noch, dass du damit anfängst, von deinen fruchtbaren Äckern zu schwärmen!«
    »Dazu müssten sie mir erst einmal gehören! Mich trifft das harte Los des Zweitgeborenen, seitdem ich denken kann - Besitz und Titel sind vollständig an meinen Bruder Ulrich gegangen. Eigentlich war ich für den geistlichen Stand vorgesehen. Da bin ich dann doch lieber Ritter als
Pfaffe geworden.« Er blieb stehen und schaute seinen ehemaligen Knappen eindringlich an. »Was ist eigentlich mit dir? Hast du nicht gesagt, du seiest der einzige Sohn deines Vaters?«
    Ein knappes Nicken.
    »Dann bist du doch auch sein Erbe, oder nicht?«
    »Darüber will ich nicht reden.« Gero hatte es auf einmal sehr eilig. »Eine unschöne Familienfehde, die allen Beteiligten nichts als Unglück gebracht hat. Lassen wir es dabei bewenden!«
    »Aber was ist mit deiner Schwester?«, bohrte Freimut nach, der schon

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