Die Prophetin vom Rhein
sein? Kein Wort hatte Adrian verraten, als er wieder nach Hause gekommen war, aber er musste die Flüchtigen getroffen haben, das verriet sein verändertes Verhalten. Als Magota sich einmal vergaß und aus Versehen Willems Namen in den Mund nahm, was er ihr strengstens untersagt hatte, holte Adrian aus und schlug ihr so hart ins Gesicht, dass sie das Gleichgewicht verlor und die halbe Treppe hinunterrollte. Aus einer kurzen Ohnmacht erwacht, fand sie ihn neben sich knien. Mit besorgtem Blick schaute er auf sie nieder und kühlte mit einem feuchten Tuch ihre geschwollene Backe.
Ob er dabei war, seinen Verstand zu verlieren? Es gab Tage, da war sie sich beinahe sicher. Doch dann erschien er ihr wieder überlegt und besonnen wie eh und je. Der Mann mit den beiden Gesichtern, die scheinbar nicht zusammenpassten - doch wenn er sich einmal etwas vorgenommen hatte, dann gab es nach wie vor nichts und niemanden, von dem er sich hätte daran hindern lassen.
»Jetzt das rote Kleid!« Seine Stimme war kalt.
Magota hasste das Gefühl der raschelnden Seide auf ihrer erhitzten Haut. Sie hasste das enge Mieder, das zu schnüren er ihr befahl, weil es ihr die Taille zusammenquetschte, bis sie kaum noch Luft bekam, hasste die lange Schleppe, die das Gehen erschwerte, die Stofffülle, die eigentlich zum Tanzen animieren sollte, zum graziösen Schreiten und beschwingten Wiegen, die sie aber bloß zum Weinen brachte, weil sie sich darin noch unansehnlicher fand als sonst. Am meisten aber hasste sie, dass er versuchte, sie in Theresa zu verwandeln. Sie war nicht Theresa - und kein Hurenkleid der ganzen Welt würde sie dazu machen!
Hatte sie nicht bei allen Heiligen geschworen, sich niemals wieder von ihm berühren zu lassen, damals, als die Madonna ihr im allerletzten Augenblick geholfen und sie vor einer Schwangerschaft bewahrt hatte?
Sobald die Strapazen der Flucht vergessen und sie in Köln halbwegs heimisch geworden waren, hatte Magota schweren Herzens diesen Schwur gebrochen. Anfangs aus einem Gefühl heraus, das große Ähnlichkeit mit Mitleid besaß, denn der Verlust Willems hatte Adrian wie ein Schlag getroffen. Dass sein Neffe fähig war, ihn fiebernd in einem schäbigen Gasthaus zurückzulassen und sich mit Theresa aus dem Staub zu machen, hatte er lange nicht verwinden können.
»Jetzt gibt es nur noch uns zwei, mich und dich, geliebte Schwester in Gott.« Sein Blick war der eines streunenden Hundes gewesen, was sie erweicht hatte. Doch kaum hatte sie die kleinste Bereitschaft gezeigt, ging alles viel zu rasch wieder seinen gewohnten Gang. Wie ein brünstiger Bock nahm er sie nach Lust und Laune, ohne sich um ihre Befindlichkeit zu scheren, bestieg sie keuchend, um sie danach fallen zu lassen wie einen schmutzigen Fetzen, während nach außen weiterhin der keusche, streng asketische Schein gewahrt wurde.
Bei den guten Christen Kölns besaß Adrian inzwischen den Ruf eines Märtyrers. Der fromme Diakon, im letzten Augenblick der Kerkerhaft und dem Scheiterhaufen entkommen - solche Neuigkeiten zogen die Gläubigen der Kirche der Liebe an wie einen wimmelnden Bienenschwarm. Das bescheidene Haus in der Vorstadt nahe St. Gereon mit seinen feuchten Wänden und dem undichten Dach, durch das der Regen tropfte, konnte schon bald gegen ein geräumigeres Anwesen im geschäftigen Albansviertel getauscht werden, wo Messerschmiede, Weber, Schildermacher und
Brauer friedlich zusammenlebten. Öffentliche Beichte, Brotsegnungen, ab und zu sogar, wenn jemand auf dem Sterbebett lag, eine Endura, jenes rituelle Fasten zur Reinigung der Seele und Beschleunigung des Ablebens - die Kirche der Liebe konnte sich in Köln ungehemmter denn je entfalten. Spenden, Schenkungen und eine vorsorgliche Verschiebung seiner Besitztümer, für die Adrian vor seiner Festnahme gesorgt hatte, ermöglichten ihnen ein Leben, das dem in Mainz in nichts nachstand - hätte da nicht Willem gefehlt.
Der Schmerz über seinen Verlust brachte Adrian immer wieder zur Raserei. War es wieder einmal besonders schlimm, schloss Magota sich in ihrer Kammer ein, weil sie dann sogar um ihr Leben fürchtete.
In Adrians Augen lag die Schuld allein bei Theresa. Sie hatte ihm Willem entfremdet und zur Wollust verführt. Sie war dafür verantwortlich, dass aus seinem Neffen nicht wie vorgesehen ein perfectus geworden war, ein Hüter der Kirche der Liebe, der den anderen mit gutem Beispiel voranging, sondern ein liebeskranker Tropf, der auch noch gewagt hatte, gegen seinen eigenen
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