Die Prophetin vom Rhein
jagen. Dein geliebter Willem würde dich sicherlich begleiten, treu und ehrlich, wie er ist, aber er würde damit auch alles verlieren, was er sich hier aufgebaut hat, und das würde ihn gewiss sehr, sehr traurig machen.« Sein Lächeln fiel dünn aus. »Sieht so dein Traum von Glück aus? Zur Verbrecherin gestempelt, mit einem mutlosen Mann an deiner Seite, ohne Hoffnung und ohne Glauben an sich selbst?«
Wie inbrünstig Theresa ihn hasste! Für einen Augenblick wünschte sie sogar von ganzem Herzen, Adrian hätte Kerker und Flucht nicht überlebt.
»Die Magistra vom Rupertsberg ist eine stolze Frau, die denkt und tut, was sie will«, sagte sie. »Ich habe ihr Kloster verlassen und die Hand zu Versöhnung ausgeschlagen, die sie mir großzügig gereicht hat. Glaubst du vielleicht, sie ist aus Holz? Hassen wird sie mich dafür! Wie kannst du nur auf die abwegige Idee verfallen, sie würde ausgerechnet auf mich hören?«
Er kam ihr so nah, dass sie instinktiv den Atem anhielt, um seine säuerliche Ausdünstung nicht riechen zu müssen.
»Die Liebe ist und bleibt nun mal die stärkste aller Kräfte, Theresa«, sagte er. »Hätten wir unsere Gemeinschaft sonst Kirche der Liebe genannt? Und die Magistra liebt dich. Das war nicht zu übersehen. Enttäusch uns nicht, Schwester in Gott! Du weißt jetzt, was alles davon abhängt.«
Wie groß und eindrucksvoll dieser Hohe Dom zu Trier war!
Beim ersten Besuch musste Hildegard an sich halten, um nicht schutzsuchend wie ein Kind nach Bruder Volmars Kutte zu greifen, so überwältigt fühlte sie sich. Ihr Begleiter schien zu spüren, was in ihr vorging, denn er hielt sich nah genug und wahrte doch gleichzeitig den gebührenden Abstand, den er in all den Jahren niemals verletzt hatte.
Hildegard sank vor dem mächtigen Holzkreuz in die Knie und begann zu beten. Bruder Volmar suchte sein Gespräch mit Gott in einer der Nebenkapellen. Als sie draußen wieder aufeinandertrafen, war die Miene der Magistra noch immer sehr ernst.
»Nicht ein Wort werde ich herausbringen«, klagte sie. »Die Majestät dieser alten Mauern ist viel zu stark. Die älteste Bischofskirche diesseits der Alpen - ich glaube, ich rede doch lieber wie bisher vor der Dompforte zu den Menschen.«
»Damit würdest du sie sehr enttäuschen«, erwiderte er. »Und erst recht Erzbischof Hillin, deinen großzügigen Gönner, der mit dieser Ausnahmegenehmigung einiges riskiert hat.« Eine scharfe Böe zerrte an seinem Umhang. Der Himmel war so schwarz, dass der nächste Schauer nur eine Sache von Augenblicken sein konnte. »Außerdem hast du dir dafür die verkehrte Jahreszeit ausgesucht. Bei dem Wetter stündest du vermutlich binnen Kurzem mutterseelenallein da.«
Sie musste lächeln. Keiner verstand es wie er, ihre Bedenken zu zerstreuen und ihr immer wieder Mut zu machen.
»Du bist solch ein treuer Freund, Volmar«, sagte sie bewegt. »Was würde ich nur ohne dich anfangen!«
»Jeder, der in deiner Nähe sein darf, muss sich ausgezeichnet fühlen.« Er wandte sich rasch ab, um seine Rührung zu verbergen.
Schweigend waren sie danach zum Kloster St. Maria am
Moselufer geritten, wo Volmar die Nacht mit den anderen Benediktinern im Dormitorium verbrachte, während die Magistra auf Wunsch des Erzbischofs im Gästehaus untergebracht wurde.
Hildegard wachte früh auf und betete in der Stille des einfachen Zimmers allein ihre Psalmen, bis ihr eine Morgensuppe aufgetischt wurde, von der sie allerdings nur wenige Löffel hinunterbrachte. Als sie zum Stall ging, um den Weißen zu holen, hatte Bruder Volmar beide Pferde bereits satteln lassen.
Im zähen Morgennebel, der die hügelige Landschaft unwirklich erscheinen ließ, ritten sie die kurze Strecke hinein in die Stadt. Die sonntägliche Ruhe hatte die Gassen leer gefegt, und außer ein paar Zerlumpten, die beizeiten ihre Positionen bezogen, um später von den Kirchgängern Almosen zu erbetteln, war kaum jemand unterwegs. Die Magistra wollte noch ein paar Schritte zu Fuß gehen, um sich weiter zu sammeln, während Volmar die Pferde versorgte. Sie war nicht mehr weit entfernt vom Hohen Dom, als eine junge Frau in einem braunen Walkumhang plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Das lange dunkle Haar, die sprechenden Augen, die schlanke, hochgewachsene Gestalt - für einen Augenblick war es beinahe, als sei Richardis von Stade von den Toten auferstanden.
Hildegard blieb stehen, kniff die Augen zusammen, aber was sie sah, war real.
»Hochwürdige Mutter?«,
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