Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
sehr klein war. Räuber erschlugen sie, und hätte mein Onkel Adrian mich nicht barmherzig aufgenommen, ich wäre elend verhungert. Er hat mich erzogen, für mich gesorgt, mich ausgebildet. Ihm verdanke ich
alles, was ich bin. Und ich weiß, er erwartet Großes von mir.«
    »Was hat das mit uns zu tun?« Theresas Stimme war auf einmal ganz klein.
    »Sehr viel! Er war mein Vater, mein Lehrer, mein Gesetz. Adrian ist ein strenger Mann mit einem unerschütterlichen Glauben, den er an mich weitergegeben hat. In diesem Glauben bin ich groß geworden …«
    »Glaubst du an uns?«, unterbrach sie ihn. Ihre Hand wanderte zu seinem Herzen. »Das ist das Einzige, was für mich zählt.«
    »Du weißt ja nicht, was du da sagst!«, rief Willem. »Meinem Onkel und uns anderen wahren Christen werden die scheußlichsten Dinge vorgeworfen. Man bezichtigt uns des Teufelskults, der Sodomie und anderer Schrecklichkeiten, nur weil wir kein Fleisch essen, nicht schwören und den Krieg ablehnen. Das sind alles stoffliche und damit unreine Dinge, die nichts mit der Welt des Lichts zu tun haben, zu der unsere Seele strebt und aus der sie vom guten Gott erschaffen wurde. Sie sehnt sich nach Schönheit. Nach Frieden und Vollkommenheit.«
    »Und du? Was ist mit dir?« Sie hörte sein Herz schlagen. »Woran glaubst du?«
    »Mein Leben lang hab ich es so hingenommen, wie man es mir gesagt hat. Doch seit ich dich liebe, ist alles anders geworden. Ich habe zu zweifeln begonnen, Theresa. Ich gehe eigene Wege, was mein Onkel offen missbilligt. Und ich fühle mich scheußlich dabei und halb zerrissen.« Er schlug die Hände vor sein Gesicht. »Einen von euch werde ich verlieren - dich oder ihn, das weiß ich. Und davor habe ich Angst.«
    »Ich kann dich gut verstehen«, sagte sie nach einer Weile. »Ganz ähnlich ist es mir ergangen, als ich im Kloster
lebte, dieser abgeschlossenen Welt voller Riten und Gebete. Alles schien so klar, so einfach, so wohlgeordnet. Das hat mir eine ganze Weile Kraft gegeben. Ich war voller Dankbarkeit und hätte es am liebsten allen recht gemacht, vor allem Schwester Benigna und der Magistra, aber ich konnte es nicht. Denn da warst du in meinem Kopf, Willem, in meinem Herzen. Meinem Fleisch. Dich liebte ich an erster Stelle - nicht Jesus Christus.«
    »Sag so etwas nicht!« Seine Hände flogen zu ihrem Mund. »Das ist Gotteslästerung!«
    »Und doch sag ich es, wieder und immer wieder, wenn du es willst …«
    Seine Lippen brachten sie zum Schweigen, und schon bald gaben ihre Körper nach und sanken auf das Bett. Willems Hände waren anders als sonst, wilder, neugieriger, schlüpften unter die Seide, schoben und zerrten, bis Theresa auf einmal die Kühle des Lakens an ihrer bloßen Haut spürte. Irgendwie brachte er das Kunststück zustande, sich dabei auch seines Gewands zu entledigen - und plötzlich traf Haut auf Haut.
    Sie spürte den Druck seiner Schenkel und wurde sich der ihren bewusst, wie losgelöst von ihrem Körper. Dann schien er plötzlich zu zögern, aber ihre Arme umschlangen ihn nur umso fester und ließen ihn nicht mehr los.
    »Was tun wir hier?«, hörte sie ihn keuchen.
    »Du machst mich zu deiner Frau.«
    Ein Lachen stieg auf in ihrer Kehle, und als er in sie drang, ungestüm und weniger behutsam, als sie es erwartet hatte, half es ihr, den kurzen heftigen Schmerz zu übergehen, bevor er sich stöhnend in ihr ergoss. Es wurde feucht zwischen ihren Schenkeln, und Theresa wusste, dass auch Blut dabei sein musste, doch das kümmerte sie nicht.
    Davon hatte sie viele Nächte lang geträumt.

    Später lagen die beiden eng umschlungen in einem wirren Durcheinander aus Gliedern, Decken und Seide, als ein lautes Klopfen sie aufschreckte.
    Bevor sie sich richtig bedecken konnten, war die Tür bereits offen. Auf der Schwelle stand Adrian van Gent, in seiner Rechten eine brennende Kerze. Er trug noch den staubigen Reiseumhang, offensichtlich war er gerade erst eingetroffen.
    Seine Schultern zuckten in einem lautlosen Gefühlsausbruch. Sein scharf geschnittenes Gesicht war voller Schmerz.

Sechs
    RUPERTSBERG - WINTER 1157
    »Das silberne Räderwappen des Erzbischofs - er kommt zu uns, auf den Rupertsberg!« Schwester Lucillas helle Stimme überschlug sich beinahe, und ihre runden Wangen brannten vor Aufregung.
    »Du hast sein Wappen erkannt?« Hedwig ließ die Feder sinken. Lucilla konnte so scharf sehen wie ein Falke. Aber sie besaß auch eine ausgesprochen lebhafte Fantasie, das hatte die junge Nonne schon

Weitere Kostenlose Bücher