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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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einige Flecken abbekommen. Sie riss es sich herunter und schlüpfte in ein grünes, das zwar sauber, dafür aber leider schon ziemlich zerschlissen war. Wie nötig hätte sie ein neues Kleid gebraucht!
    Einen Augenblick lang war die Versuchung fast übermächtig, doch Theresa gelang es zu widerstehen. Adas rotes Prachtgewand, tief in der Truhe unter altem Leinen verborgen, war für einen besonderen Tag bestimmt. Es sollte ein Fest werden, wenn Theresa es zum ersten Mal trug. Ein Fest, das sie sich noch aufsparen wollte.
    Ohne nach links oder rechts zu schauen, verließ sie das Haus und lief in Richtung Hafen, entschlossen, nicht daran zu denken, was den Leuten in den Sinn kommen würde, die sie derart davonstürzen sahen. Es war eine Art Glücksspiel, ob sie Willem auch wirklich antraf. Einige Male hatten sie sich schon verpasst, kaum auszuhalten bei den seltenen Gelegenheiten, die ihnen blieben.
    Als sie atemlos bei dem alten Schuppen angelangt war,
konnte sie ihn nirgendwo entdecken. Sofort stieg gallenbitter Enttäuschung in ihr hoch. Bedeutete das, dass sie wieder wochenlang auf ihn verzichten musste?
    Mit einem Lächeln trat er plötzlich aus dem Schatten, und Theresa stürzte in seine Arme.
    »Liebste!«, flüsterte er, als seine Lippen sich von den ihren gelöst hatten, und strich ihr das dunkle Haar aus dem erhitzten Gesicht. »Ich konnte es kaum noch erwarten.«
    »Was glaubst du, wie es mir ergangen ist! Ich dachte schon, Meline würde mich gleich weiter zur nächsten Geburt schleifen, doch dann hat sie es sich offenbar anders überlegt. Möchte wirklich zu gerne wissen, wohin sie immer ganz allein schleicht.«
    »Ist das nicht gleichgültig?« Er zog sie näher an sich. »Wo wir beide endlich wieder zusammen sind!«
    Eng nebeneinander gingen sie weiter, vorbei an den Schiffen, die be- und entladen wurden. Der Hafen und die dahinterliegenden Auen waren ihnen im Lauf des Sommers zu einer Heimat geworden, die beide lieb gewonnen hatten, nachdem jede andere ihnen verwehrt war. Ein Stück hinter dem Kai wartete eine schattige Wiese auf sie, ihr heimlicher Platz, wo sie ungestört sein konnten. Freilich vermochten weder Theresa noch Willem auf Dauer die Augen zu verschließen: Die Kastanien wurden langsam reif; der Sommer neigte sich dem Ende zu. Was würde im Herbst aus ihnen werden, wenn sie ein sicheres Dach über dem Kopf brauchten, um einander nah sein zu können?
    Seit Theresa wusste, dass Willem sie liebte, war alles leichter und schwerer zugleich geworden. Da gab es dieses seltsam schwebende Gefühl in ihr, das sie sehr glücklich machte, ihr aber auch gleichzeitig zeigte, wie allein sie war.
    Konnte sie wirklich auf ihn zählen? Wieso zweifelte sie
noch? Waren da nicht seine aufregenden Augen, die zärtlichen Hände, Willems Lippen - aber war das auch genug?
    Jetzt wollte sie ihn erst einmal nur noch spüren! Sie sanken ins Gras, ineinander verschlungen, als wären ihre Gliedmaßen miteinander verschmolzen und hätten sie zu einem einzigen Lebewesen werden lassen. Stirn an Stirn schauten sie sich lange an. Dann küssten sie sich, wie sie es inzwischen schon viele, viele Male getan hatten. Und doch war es immer wieder aufregend und neu.
    Eine Weile war alles genau so, wie es sein sollte. Das Glucksen des Wassers im Hintergrund, der wachsende Druck seiner Lippen, das wilde Schlagen seines Herzen, so nah bei ihrem. Seine Hände, die ihre Brüste zärtlich kosten, wie sie es ihm inzwischen gestattete.
    Dann streifte etwas Seidiges Theresas Knöchel. Sie schrak hoch, musste aber lachen, als sie erkannt hatte, wer sie da mitten im Liebesspiel gestört hatte.
    »Graue!«, rief sie. »Was bist du nur für ein seltsames Vieh! Selbst hierher stiefelst du mir nach!«
    Willem hatte sich ebenso aufgesetzt, doch seine Miene verriet Empörung. »Jag sie weg!«, verlangte er. »Niemand soll uns stören.«
    »Aber sie ist doch ein so liebes Tier«, entgegnete Theresa verdutzt. »Den ganzen Winter über hat sie nicht nur die Ratten im Haus in Schach gehalten, sondern mich auch vor dem Erfrieren bewahrt.«
    Als hätte Willem sie gar nicht gehört, begann er, wie wild mit den Armen zu wedeln, als sei die graue Katze eine ernsthafte Bedrohung.
    »Ich hasse Katzen!«, rief er. »Widerlich sind sie mir. Ich will das Vieh hier nicht haben! Gute Christen haben mit diesen Tieren nichts zu schaffen, egal, was man ihnen auch nachsagt.«

    Plötzlich erschien er ihr so weit weg wie der Mond. Was wusste sie eigentlich von ihm?

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