Die Prophetin von Luxor
hätte sie für herzlos gehalten, hätte er sie nicht in seinen Armen gewiegt, als sie begriffen hatte, daß ihr Kind verloren war. Hätte er nicht die Panik in ihrer Stimme gehört, hätte er sie heute nacht als herzlose Schlange abgestempelt. Doch da er all das wußte, empfand er Ehrfurcht vor ihrer Mühe, ihrer Energie und dem Durchhaltevermögen, das sie an den Tag legte.
Der Mondschein strich über ihre kurzen schwarzen Haare, brachte ihre grünen Augen zum Glühen wie die einer Katze und küßte ihre vollen Lippen. Er spürte ein Ziehen in seinem Unterleib, einen blindmachenden Rausch. Diese physische Reaktion auf RaEm war ihm nicht neu, doch diesmal spürte er zugleich, wie ihm das Herz eng wurde, als er überlegte, wie zäh diese Frau war. Hatte er sie jemals richtig gekannt? Im Grunde war sie noch ein Kind gewesen, als er sich damals in der Nacht aus dem Harem Pharaos geschlichen und sich mit ihr im Garten getroffen hatte. Sie war so schön und zerbrechlich gewesen, und zugleich so ängstlich vor allem um sie herum. Jetzt überdeckte die Erinnerung an ihren Kuß auf der Pyramide jene verblaßten Momente und steigerte zusätzlich den bereits prekären Druck unter seinem Schurz.
Was war mit jenem jungen Mädchen passiert? Was hatte sie derart verdorben? Es war zu leicht, alles nur auf Nesbek oder Pakab zu schieben. Es mußte auch einen inneren Antrieb geben, der sie das Verbotene suchen ließ. Woher wollte er wissen, was das war? Er hatte sie jahrelang nicht mehr gesehen, bis sie schließlich auf Hats Feier offiziell miteinander bekannt gemacht wurden und RaEm ihn auf ihr Gut in Goshen eingeladen hatte. Würde er es jemals erfahren? Er lehnte sich gegen einen der vielen Bäume am Ufer und nickte, den Blick fest auf RaEm gerichtet, ein.
Chloe betrachtete die Zeichnung. Sie hatte den Weg des Mondes über den Nil oberhalb der Baumgruppe festgehalten, obwohl das nicht leicht war ohne eine feinere Spitze. Mit einem zufriedenen Seufzen packte sie die Tuschepinsel ein und faltete die behelfsmäßige Staffelei zusammen. Mit dem noch trocknenden Werk in der einen Hand und der vollen Leinentasche in der anderen machte sie sich auf den Rückweg zum Palast. Im Osten verblaßte der Horizont bereits zu leichtem Grau.
Beim Anblick der im Gras liegenden Hand blieb ihr fast das Herz stehen. Das Licht der nahenden Dämmerung ließ sie aus dem Dunkel hervortreten, zeichnete die eckigen Fingerkuppen elfenbeinfarben nach und verlieh dem Skarabäusring mit dem Tigerauge ein dämonisches Leuchten. Chloe unterdrückte einen Schrei und ließ ihre Sachen fallen. Herzklopfend schlich sie um den Baum herum.
Cheftu.
Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, sie fiel auf die Knie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, die Kehle zugeschnürt von Tränen, bis ihr aufging, daß er noch atmete und lebendig war.
Und wach, ausgesprochen wach.
Seine starken Arme umschlangen sie, zogen sie auf seinen Schoß, an seine hungrigen Lippen und an die von der Nacht verdunkelten Augen. Sie spürte, wie ihr das Blut in den Schläfen pochte, fuhr sich nervös mit der Zunge über die Unterlippe und sah Cheftu mit großen Augen an. Sein Blick zuckte zu ihren Lippen hin. Wie ein Hase in der Falle hing sie halb über ihm, vollkommen erstarrt.
Er streckte einen Finger hoch und fuhr unendlich zart ihre Lippen nach. Nachdem er die Feuchtigkeit von ihren Lippen auf seiner bebenden Fingerspitze gesammelt hatte, leckte er ihn langsam ab. Sein schwerlidriger Blick brannte sich in ihren. Chloe stockte der Atem. Seine nackte Brust und die bloßen Beine versengten sie, und sie beugte sich vor, den Kopf voller wirrer Gedanken. Verdammt, dachte sie benommen. Zum ersten Mal störte es sie nicht im geringsten, daß er schon seit Tausenden von Jahren tot und begraben war. Plötzlich zählten nur noch die in ihr brodelnde Hitze, die Schwere in ihren Brüsten, das Pulsieren in ihrem Leib.
Sie senkte den Kopf, als Cheftu aufsah. Abrupt setzte er sich auf, so daß sein Kopf gegen ihren prallte. Schmerzhaft.
»RaEm«, meinte er überstürzt und verwirrt, »der Tag bricht bald an. Ich muß los ... Ich ... habe noch eine Verabredung.«
Chloe, die sich den pochenden Kiefer rieb, bemerkte, daß er ihrem Blick auswich und daß er eher hastig als elegant auf die Beine sprang.
»Wo sind deine Malsachen?« fragte er und klopfte sich dabei tote Fliegen von Schurz und Umhang. Erstaunlicherweise schienen in der Luft keine Fliegen mehr zu sein.
Chloe hob ihre Tasche auf und rollte
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