Die Prophetin von Luxor
Chloe nicht, daß sie persönlich so wichtig war, doch war in jedem Buch und jedem Film über Zeitreisen, an das oder den sie sich erinnern konnte, großer Wert darauf gelegt worden, daß nicht in die Geschichte eingegriffen wurde. Wenn jeder Mensch wie ein Stein war, der in einen Teich geschleudert wurde ... die Wellen konnten ein Boot zum Schaukeln bringen, wenn es nur weit genug entfernt war. Was für Wellen könnte ich durch meine Anwesenheit hervorrufen? Ich kann so nicht weitermachen - egal was es kostet. Sobald ich eine Möglichkeit zum Verschwinden entdecke, muß ich sie ergreifen.
10. KAPITEL
Bis Sonnenuntergang hatte Chloe sich angekleidet. Eine neue Dienerin war gekommen; Chloe hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie nach ihrem Namen zu fragen. Sie starrte ihr ägyptisches Spiegelbild an; sie stand im Begriff, Horus-im-Nest zu heiraten, den zukünftigen mächtigen Stier der Ma’at. Dann war die Sklavin wieder verschwunden und hatte Chloe ein paar Minuten allein gelassen, bevor der Streitwagen eintraf, der sie wegbringen sollte.
Sie sollten in einem kleinen Tempel am Ufer des Nils verheiratet werden. Abgesehen von dem heutigen Abend gab es nichts, was man als Flitterwochen bezeichnen konnte. Thutmo-sis wollte auf keinen Fall wegfahren, solange die Situation mit den Israeliten so verfahren war. Bis auf die Nächte würde sie die ganze Zeit im Harem bleiben.
Sie trank von der Phiole, die Meneptah ihr gebracht hatte, und spürte, wie das Mittel durch ihre Adern lief.
Cheftu hatte vorgeschlagen, nur die Hälfte zu nehmen, doch sie hatte die Phiole auf einmal geleert. Hoffentlich hatte das keine tragischen Folgen. Jetzt war es wesentlich einfacher, einen Schritt zur Seite zu treten und sich selbst zu beobachten;
sie fühlte sich beinahe ätherisch. Mit geschlossenen Augen atmete sie den Duft der Blumen vor ihrer Tür ein. Das silberweiße Bild im Spiegel schlug erneut die Augen auf. Chloe lächelte, und die Priesterin RaEmhetepet lächelte zurück.
Jemand klopfte an ihre Tür, und Chloe drehte sich um. Als Cheftu eintrat, spürte sie den vertrauten Blitz durch ihren Körper schießen. Er war in Weiß und Blau gekleidet, und der lange Amtsumhang fiel von seinen Schultern bis auf die lederbeschuhten Füße. Sein Blick glühte hinter lapis-bemalten Lidern hervor, und in den Lapis-Steinen an seinen Ohren brach sich das Licht der Fackeln.
Er blieb dicht vor ihr stehen, so dicht, daß sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Geschwächt hob RaEm ihren Blick und sah seine distanzierte Miene. »Der hohe, mächtige Edelmann Cheftu«, verkündete sie gedehnt. »Hat deine Mutter dir nie erzählt, daß man Falten kriegt, wenn man dauernd die Stirn runzelt?« Sie sah, wie sich die kantigen Kiefermuskeln unter der hinuntergeschluckten Antwort anspannten.
RaEm hob eine Henna-bemalte Hand und strich damit über seine glatte Wange. »Weißt du, daß ich an einer Hand abzählen kann, wie oft ich dich lachen gesehen habe? Und ich kann mit geschlossener Faust abzählen, wie oft du mich angelächelt hast. Ich möchte dich lächeln sehen, mächtiger Herr.« Sie hatte es sich in den von Rauschmitteln getrübten Kopf gesetzt, seine säuerliche Miene zu vertreiben. Eine silbern bemalte Braue boshaft hochgezogen, griff sie Cheftu zwischen die Beine. Seine Miene änderte sich tatsächlich - sie war erst überrascht, dann entsetzt und wütend und schließlich, als sie ihn unter seinem Schurz festhielt, bis sie ihn länger und härter werden spürte, reumütig und sehnsüchtig. Sie warf lachend den Kopf zurück, und Cheftus Gesicht wurde dunkel vor Zorn.
»Ich bin nicht dein Spielzeug, RaEm«, knirschte er durch zusammengebissene Zähne. Mit harter Hand packte er sie am Handgelenk und verstärkte den Druck auf die Knochen, bis sie gezwungen war, von ihrem Preis abzulassen. Ohne ihr Handgelenk loszulassen, sah er ihr in die Augen.
»Ach, selbst jetzt würdest du einen anderen Mann nehmen? Du würdest zu deinem Gemahl gehen, während mein Samen noch auf deinen Schenkeln klebt?« Sein Lächeln war ohne jede Freude. »Ich wäre vorsichtig, Priesterin; ich war damals jung, und Nesbek war zu übersättigt, doch nun heiratest du einen Mann, der irgendwann einmal Pharao sein wird. Er wird dich töten, wenn du ihm untreu bist. Das wäre nur gerecht.«
Er stand schweigend vor ihr, mit hart atmender Brust und mühsam darum ringend, ein Mindestmaß an Selbstbeherrschung aufzubringen. »Ich bin gekommen, um dich zum
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