Die Prophetin von Luxor
vorzeitig altern lassen. Nichtsdestotrotz waren sie jetzt fröhlich und munter, tranken Bier und versammelten sich, um die großen Ereignisse in ihrem kleinen Dorf mitzubekommen.
Als sie Cheftu erblickte, stockte ihr der Atem. Er trat aus einem Haus gegenüber, flankiert von Meneptah und einem anderen, älteren Israeliten. Cheftu sah atemberaubend aus.
Sein weißer, um den harten, flachen Bauch gebundener Leinenschurz ließ die bronzefarbenen Muskeln und Sehnen seiner Beine und seines Oberkörpers hervortreten. Ein Hitzeschauer überlief Chloe. Die Steine in seinem Kragen, an seinen Armen und Ohren fingen das Licht der Fackeln ein und warfen es zurück. Sein Gesicht war ernst und ausdruckslos, doch sie meinte zu sehen, wie sein Puls schneller ging, als er sie entdeckte.
Natürlich geht sein Puls schneller, dachte sie, schließlich steht er seiner Henkerin gegenüber! Chloe wurde zu ihm geführt und ihre Hand in seine gelegt. Sie sah ihm in die Augen, und er zwinkerte ihr zu. Sie war verblüfft. Zwinkerte man auch im alten Ägypten?
»Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er, dann schob er ihre Hand unter seinen Arm und lächelte, als er den Armreif daran bemerkte.
War das noch derselbe Mann wie zuvor? Der sie als Hure bezeichnet und ihr erklärt hatte, ihr Bräutigam täte ihm leid? Der behauptet hatte, es wäre nur gerecht, wenn sie sterben müßte?
Der alte Führer baute sich vor ihnen auf und sagte hastig: »Getreu den Worten Moshes und des Stammes Israel sollt ihr fortan einander geweiht sein.«
Cheftu nahm ihre Hände in seine und blickte ihr suchend in die Augen. »Bei allem, was heilig ist«, wiederholte er die Worte des Führers, »nehme ich dich, RaEmhetepet, zur Frau, jetzt und immerdar, im Himmel und auf Erden.« Er stockte und schluckte. »Ich gelobe dir nie endende Ergebenheit.«
Der Schreiber überreichte ihnen ein Schriftstück, auf das Chloe völlig durcheinander einen kurzen Blick warf, ehe sie es in hieratischen Zeichen mit ihrem Namen unterschrieb. Cheftu tat es ihr nach, dann wurden sie unter Anleitung des grinsenden Meneptah von den singenden Apiru umringt.
Eine Hand um ihre Taille gelegt, küßte Cheftu sie auf die Stirn, bevor sie zurück zum Haus geführt wurden. Unter den Segenswünschen unzähliger Kinder und »Gute-Nacht«-Rufen wurden sie in denselben Raum wie zuvor geschubst und bekamen ein eilends zusammengestelltes Tablett hereingereicht, ehe die Tür hinter ihnen verriegelt wurde. Chloe war überzeugt, daß die ganze Prozedur keine Stunde gedauert hatte - und doch war sie nun verheiratet.
Sie saßen im zweiten Stock fest, und die einzige Fluchtmöglichkeit hätte in einem Sprung aus dem Fenster bestanden. Das größte Problem aber war, daß es keinen Ort gab, wohin sie fliehen konnten. Schließlich hatten sie Thutmosis eine Korb verpaßt und mußten nun seinen Zorn fürchten. Jetzt würde Cheftu dafür bezahlen müssen. Wenigstens, so hoffte sie, murkste sie auf diese Weise nicht in der Geschichte herum.
»Komm, Herrin«, sagte er. »Laß uns Wein trinken und reden. So viele Überschwemmungen sind ins Land gegangen, und wir haben acht Tage, um noch einmal jeden Augenblick zu durchleben.« Er schenkte zwei Becher voll, und beide nahmen einen Schluck. Er wirkte aufgekratzt.
Man erwartete also von ihr, daß sie die Vereinigung mit einem Fremden vollzog, der 3500 Jahre lang tot gewesen war, bevor sie auf die Welt kam? Wo blieb da die wahre Liebe und Romantik? Zitternd nahm sie einen Schluck von ihrem Becher.
Cheftu schenkte ihr Wein nach. »Bitte, hab keine Angst vor mir« sagte er leise. »Ich weiß, daß du das hier nicht gewollt hast. Es tut mir leid, aber ich konnte dir keine andere Möglichkeit bieten.« Sie blickte in seine Augen, die im matten Licht noch dunkler wirkten. Langsam kam er näher.
»Mondschein, ich werde dir nichts tun. Ich habe auf dich aufgepaßt, dich beschützt, und auch wenn das hier unerwartet kommt, können wir es für uns zum Guten wenden. Was ich gesagt habe, tut mir leid; wir sollten es vergessen.« Er sah sie sehr aufmerksam, mit prüfenden, goldenen Augen an. »Laß uns ganz von vorne anfangen, als zwei neue Menschen.«
Chloe versuchte, ihm zu antworten, doch ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren, und ihre Zunge fühlte sich an wie in Watte gepackt. »Mir tut es ebenfalls leid«, brachte sie heraus. »Du bist gezwungen, eine Frau zu heiraten, die dich einst be-trogen hat ...« Sein Finger auf ihren Lippen brachte sie zum Verstummen.
»Das
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