Die Prophetin von Luxor
Wolke ausmachen. Obwohl er noch nie einen Heuschreckenschwarm gesehen hatte, war er überzeugt, daß sich dort einer näherte. Er lief wieder ins Haus, rief die Sklaven zu sich und traf alle Vorbereitungen, zu denen er noch in der Lage war.
Schließlich trat er ins Bad und rief: »Komm aus dem Wasser und zieh dich augenblicklich an, RaEm!«
Als Chloe, ein wenig ausgesöhnter mit der Welt, aus dem
Bad kam, war Cheftu bereits gegangen. Das Zimmer hatte sich verändert. Schon roch die Luft abgestanden und muffig. Die Fenster waren mit Lehmziegeln versiegelt worden, genau wie die Lüftungstürmchen auf dem Dach. Der Rauch der Fackeln an der Wand brannte ihr in den Augen. Selbst die Gartenfenster waren zugemauert und die zierlichen Alabasterrahmen mit Lehmziegeln verstärkt worden. »Jedenfalls hat er ganze Arbeit geleistet«, meinte Chloe zu sich selbst.
Ehuru erschien in der Tür. »Komm, Herrin«, bat er. »Der edle Herr Cheftu erwartet dich im Garten.«
Chloe folgte ihm durch den langen Gang auf die säulenbestandene Veranda, wo sich auch die anderen Adligen aus dem Palast versammelt hatten. Die meisten davon erkannte ihr »anderes« Gedächtnis wieder, allerdings nicht den Mann, der sich eben eindringlich mit Cheftu unterhielt. Zu Chloes Überraschung trug er ein Baby auf dem Arm, das eng gewickelt war, doch bereits die Jugendlocke eines jungen Ägypters trug. Cheftu warf ihr einen skeptischen Blick zu, und Chloe zwinkerte ihm zu, denn sie bereute bereits ihre Bissigkeit von vorhin.
»Geliebte«, sprach er sie an, »das ist Graf Sennedjim aus dem Ibis-Gau.« Zu dem Grafen sagte er: »Meine Gemahlin, die edle Dame RaEmhetepet der Göttin Hathor.« Sennedjim lächelte ihr zu, halb der Unterhaltung lauschend und halb die drei jungen Knaben im Auge behaltend, die durch den verwüsteten Garten tollten. Das Baby in seinen Armen schlief tief und fest, und Chloe spürte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle festsetzte, als sie in das knubblige Gesichtchen mit den geschwungenen schwarzen Brauen und dem feuchten rosa Mund sah.
Plötzlich lag statische Elektrizität in der Luft, und Sennedjim brach mitten im Satz ab, um nach Osten zu sehen, wohin auch alle übrigen blickten. Thut hatte sich vor ihnen aufgebaut, die Papyrusrolle mit der Nachricht Pharaos immer noch in der Hand. Der brüchig-gelbe Himmel wurde von einer riesigen, metallisch aussehenden Wolke überzogen, die so dicht und groß war, daß mit einem Schlag die Dämmerung anzubrechen schien. Chloe blieb wie angewurzelt stehen und legte den Kopf in den Nacken, um durch die Wolke hindurchzuschauen. Mit bedrückter Miene zog Cheftu sie an seinen angespannten Körper. Der Wind wurde stärker, fuhr durch die umgeknickten Bäume, wirbelte die Schurze hoch, fegte Perücken von den Köpfen. Und riß den Papyrus aus Thuts Hand.
Die Gruppe zog sich unter das schützende Vordach zurück, um von dort aus weiter zuzuschauen. Der Wind begann, Teile der Wolke zu verwehen, und kurz darauf wurde das Tosen des Sturmes von einem lauten Surren überlagert. Nur Thut stand noch im Garten, nun ohne goldenen Kragen und Perücke, die Beine breit gegen den Boden gestemmt, um den anbrandenden Windböen standzuhalten.
Die Wolke begann, vom Himmel zu fallen. Es regnete Heuschrecken! Chloe kreischte auf, als die Tiere klickend mit ihren Panzern am Boden aufschlugen. Sie waren riesig. Chloe hatte schon viele Heuschrecken gesehen, hatte einmal sogar welche gegessen, um eine Wette zu gewinnen. Die hier allerdings verschlugen ihr den Atem! Vom Appetit ganz zu schweigen.
Heuschrecken gehören zur Familie der Geradflügler, memorierte sie, haben zwei kräftige Sprungbeine und sind grün, gold und braun gefärbt. Allerdings waren diese Mistviecher hier nicht mit den üblichen, drei Zentimeter langen Grashüpfern zu vergleichen, sondern sieben bis zwölf Zentimeter lang und schwarz-gelb gestreift. Schon hatten sie mit laut dröhnenden Kaugeräuschen das Gras vom Erdboden abgefressen. Zu Tausenden waren sie vom Himmel gefallen und marschierten jetzt wie eine riesige Armee durch den Garten, um alles Lebende in Reichweite zu verzehren.
Es war, als würde man einen Farbfilm anschauen, der plötzlich zu Schwarz-weiß verblaßt.
Mit vorgeschobenem Unterkiefer und schmalen Lippen sah Cheftu zu Chloe herüber. Sie las Kummer und Reue in seinen goldenen Augen. Die Menschen verzogen sich hastig in ihre Gemächer, selbst Thut wich nun unter das Vordach zurück. Mit jeder Minute fielen mehr Heuschrecken vom
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