Die Prophetin von Luxor
sie die Heuschrecken von ihrem Körper, schöpfte die krabbelnden Viecher aus der Milch, schüttelte sie aus ihren Haaren und ihren Kleidern und trat schließlich in ihre Gemächer. Sie hatte den größten Teil des Vormittags verpaßt sowie auch Cheftu und Ehuru. Chloe entzündete eine der qualmenden Fackeln, setzte sich hin, legte die Füße auf den Stuhl gegenüber und schlang den Rock so fest wie möglich um ihre Beine.
Sie riß ein Stück Brot ab und aß es, dann schenkte sie etwas von der warmen Milch in ein Glas, brachte aber keinen Schluck mehr davon herunter, nachdem sie ein abgerissenes Heuschreckenbein ausgespuckt hatte.
Die Heuschrecken fraßen an dem feuchten Ziegellehm, und Chloe konnte im matten Fackellicht erkennen, daß die Schutzmauer nicht mehr lange halten würde. Mit sinkendem Mut floh sie ins Schlafzimmer - knirsch, stampf, knirsch - und holte ihren Notbehelf von einem Skizzenbuch heraus.
Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich den Alptraum draußen auszumalen. Die eben erst knospenden Bäume waren bis unter die Borke abgefressen, alle Mauern waren kahl und sämtliche Wasserflächen von Heuschrecken bedeckt. Sie rief sich das resignierte Entsetzen auf den Gesichtern der wenigen Menschen vor Augen, die ihr draußen begegnet waren.
Das Licht erlosch im Fackelhalter, und Chloe blieb in absoluter Dunkelheit zurück. Fluchend schlüpfte sie in ihre Sandalen, erstickte einen Schrei, als ihr Fuß eine Heuschrecke aufspürte, und machte sich dann vorsichtig auf die Suche nach einer neuen Fackel. Alle waren abgebrannt - bei allen war das Öl verfeuert, so daß nur noch der trockene, strohähnliche Stummel zurückgeblieben war. Sie blickte in Richtung Gartentür und hielt Ausschau nach Lichtstrahlen, die durch die Spalten im Holz hereindrangen, doch dort war nichts zu sehen. Ich habe doch bestimmt nicht den ganzen Tag gezeichnet, dachte sie. Dennoch schien das immer wahrscheinlicher.
Mit zusammengebissenen Zähnen, um das Flattern und Flügelschlagen der aufgeschreckten Heuschrecken zu ertragen, schlurfte sie zu der Tür zum Gang. Dort angekommen, drückte sie das Türblatt auf und starrte in die schummrigen Tiefen. Sie zog sich einen Wachsklumpen aus dem Ohr. Himmlische Stille! Am anderen Ende des Ganges funzelte eine einsame Fackel, und dahinter blickte Chloe in die sternlose Nacht. Was würde ich nicht geben für eine Uhr, dachte sie. Fast soviel wie für eine Zigarette oder einen anständigen Bleistift!
Dann verscheuchte sie die unproduktiven Gedanken und musterte den Gang auf und ab, wo sich jedoch nirgendwo ein Le-benszeichen zeigte, abgesehen von den Abermillionen glubschäugiger Freßmaschinen natürlich, die sich über ganz Ägypten hinwegwälzten. Sie ging nach draußen - knirsch, spratz, knack. Ihr Gewand war von Heuschreckenspeichel überzogen, braunen Flecken, die sich im trüben Licht wie Blut ausnahmen. Bibbernd schlang sie die Arme um ihren Körper und sah sich um.
Die Zerstörung trieb ihr die Tränen in die Augen. Das Gelände war vollkommen flach; jeder Baum und Busch, der zuvor aufgeragt hatte, war nun eins mit dem Boden. Dann hörte Chloe das tiefe, surrende Dröhnen der fressenden Insekten. Sie wischte die Tiere von ihrem Gesicht und ihren Armen und drehte sich auf der Suche nach einem Lebenszeichen zum Palast um. Das Gebäude war fast vollkommen dunkel, und Chloe fragte sich, ob die Bewohner des Palastes einfach zu Bett gegangen waren, oder ob sie in ihren Landvillen und Stadthäusern abwarteten, bis die Plage ausgestanden war.
Mechanisch die Insekten von ihrer Haut und ihren Kleidern pflückend, kehrte sie zurück zu ihrem Zimmer und nahm dabei die einzelne Fackel aus dem Gang mit sowie eine Ersatzfackel, die hinter dem Halter klemmte. Als sie in ihren Räumen war, warf sie als erstes die Milch weg, die in der stickigen Hitze gestockt war, zerquetschte noch ein paar Insekten und ließ sich dann bei trocken Brot und einem Becher heuschreckenverseuchten Wassers zu einer Nacht des Zeichnens nieder.
Als sie in der Morgendämmerung aufstand und sich streckte, war Cheftu immer noch nicht zurückgekehrt. Wo zum Teufel steckte er? Sie füllte ihren Wasserkrug nach, diesmal heuschreckenfrei, da sie ihn klugerweise abgedeckt hatte, und kaute etwas altes Brot. Mit einem schnellen Blick nach draußen erkannte sie, daß die Sonne bereits aufgegangen war und hoch und hell am Himmel stand. Sie zuckte vor der Helligkeit und den unzähligen Heuschrecken zurück, die nach wie vor alles
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