Die Prophetin von Luxor
gespenstischer grauer Qualm vor dem Nachthimmel, gequälte Gestalten und im Hintergrund geisterhaft glühende Flammen.
In einem Zelt an der Seitenwand des letzten noch stehenden Hauses hatten Cheftu und Meneptah eine behelfsmäßige Krankenstation eingerichtet. Hinter den rauchfleckigen Flachsvorhängen glomm Licht, weswegen die Heuschrecken von außen hochkrabbelten und den Stoff beschwerten.
Auf dem von Heuschrecken bedeckten Boden lagen Leichen. »Wir haben sie nach Familien geordnet«, erklärte Ehuru tonlos.
Chloe war froh, daß es dunkel war, obwohl die weiß leuchtenden nackten Knochen und die entsetzliche Stille deutlich genug von den vielen Toten zeugten. Der Gestank verbrannten Fleisches hing wie eine Trauerwolke über den schwelenden Ruinen, und Chloes Magen hatte sich bereits geleert, noch bevor sie auf den Hauptplatz traten.
Dort hockten dicht gedrängt die Überlebenden. Jene, die zum Überleben zu schwach waren, hatten Schmerzmittel bekommen und warteten nur noch darauf, daß sie starben und ihrem zornigen Gott gegenübertraten. Jene, die relativ unbeschadet davongekommen waren, saßen apathisch da und starrten vor sich hin.
Die Sklaven waren vollkommen planlos: Wasser stand in Krügen knapp außerhalb der Reichweite von Menschen, die kurz vor dem Verdursten waren.
Alles und jeder war von Heuschrecken bedeckt. Sie begruben die Toten unter sich, sie vergifteten die Verwundeten, sie krabbelten auf den Lebenden herum.
Genau so stellte sich Chloe die Hölle vor. Sie hatte Angst, ihr war schlecht, und sie wünschte sich von Herzen, sie wäre nie hergekommen. »Der Brunnen ist voller Heuschrecken«, erklärte Ehuru. »Wir haben kein Wasser.«
»Herrin?« Die rauhe Stimme, tränenvoll und entfernt weiblich, ließ Chloe erstarren. Ihr Blick tastete sich durch die Dunkelheit, über die Berge sich bewegenden und totenstillen Fleisches.
»D’vorah?«
Das Israelitenmädchen trat vor, und Chloe unterdrückte einen Aufschrei. Sie hatte schwere Verbrennungen; Haare, Brauen und Wimpern waren abgesengt und hatten dunkle, verkrustete Wunden hinterlassen, die ein grauenvolles Relief auf dem rußigen Gesicht des Mädchens bildeten. Ihre Hände waren bandagiert, doch auf ihren geplatzten, blutigen Lippen lag ein Lächeln. »Wieso bist du gekommen, Herrin? Dies ist kein Ort für dich.«
Chloe biß sich auf die Lippen, um ihren Ekel zu unterdrük-ken. Medizin war nie ihre Stärke gewesen - sie war nicht einmal in der Lage gewesen, im Biologieunterricht einen Frosch zu sezieren. Selbst auf ihrem eigenen Körper empfand sie Schnittwunden und blaue Flecken als etwas Fremdes und Abstoßendes. Ihren Erste-Hilfe-Kurs hatte sie erst im dritten Anlauf bestanden, und selbst da war ihr hinterher noch übel gewesen. Trotzdem, dies hier war D’vorah, die junge Frau, die Chloe bei ihrer Fehlgeburt beigestanden hatte. Die ihre Hand gehalten hatte, als Chloe plötzlich in Tränen ausgebrochen war. Es war nicht irgendein kranker, vergrindeter, verletzter Fremder. Es war eine Freundin.
Tränen strömten ihr über die Wangen. Ganz behutsam schloß Chloe ihre Freundin in die Arme und erspürte D’vorahs feine Knochen unter der pergamenttrockenen Haut. Das Mädchen schluchzte in tiefen Seufzern, die dazu führten, daß Blasen schwarzen Schleims auf ihre Lippen traten. Chloe war zwischen Mitleid und Entsetzen hin und her gerissen.
»Was ist mit deiner Familie?«
»Sie sind tot, Herrin. Alle sind tot.«
Sie sanken auf den heuschreckenbedeckten Boden, während um sie herum aus dem tiefen Dröhnen der Zerstörung heraus Trauerklagen aufstiegen. Chloe hielt das Mädchen in den Armen und hörte ihr einfach zu. Um die Felder ihres Herren von den Heuschrecken zu befreien, denn er war ein guter Mann, hatten die Apiru Feuer entzündet und versucht, die Insekten durch eine Rauchwand abzuhalten. Zwar war ihr Vorarbeiter verschwunden, trotzdem war das bei einem Heuschrek-kensturm eine oft gewählte Schutzmaßnahme.
Alles war gutgegangen, bis der Wind plötzlich gedreht hatte. Innerhalb weniger Sekunden war das Lehmziegeldorf mit seinen Dächern aus getrocknetem Schilf in Flammen aufgegangen.
»Ich habe unten geschlafen«, sagte D’vorah. »Mit den Kindern - Ari, der fünf Jahre alt ist, und Lina, die acht ist.« Sie preßte sich eine blasenbedeckte Hand auf den Mund. »Die beiden sind nicht einmal aufgewacht!« Sie hustete wieder, und Chloe blickte mit verzogenem Gesicht auf den schwarzen Schleim, der sich mit dunklem Blut
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