Die Prophetin von Luxor
vermischte.
»Ich bin von einem lauten Knall aufgewacht.«
Sie verschränkte die Arme über den Knien und sah auf die Heuschrecken, die über ihre verbrannten Hände krabbelten. »Ich habe die Kinder zum Fenster getragen, aber ich konnte sie nicht nach draußen heben! Das Fenster war zu hoch, und ich war zu schwach.«
D’vorah erzählte, während sie dort gestanden und versucht habe, ihre am Rauch erstickten Geschwister durch die Fensteröffnung zu zwängen, sei das Dach eingestürzt, und geschmolzene Ziegel seien zusammen mit den verkohlten Leichen ihrer Eltern und der älteren Geschwister auf sie herabgeregnet.
Meneptah hatte von draußen den Fenstersims eingeschlagen und D’vorah hinausgezerrt, aber genau da war ein Krug explodiert, der ihr Haar in Brand gesetzt und ihr das Gesicht versengt hatte.
Chloe wiegte das verletzte Kind in den Armen, streichelte ihr über die Schultern und zupfte die Heuschrecken von ihren Brandwunden.
»Herrin RaEm?«
Chloe schlug die Augen auf und erblickte eine schwarze Gestalt, die sich im Dämmerlicht über sie beugte. Sie und D’vorah lagen Seite an Seite, die Arme umeinander gelegt. Chloe drehte sich zur Seite, um das Mädchen abzuschirmen.
»Was willst du?« fuhr sie die Gestalt verschlafen und verängstigt zugleich an.
Hastig trat der Mann zurück und kreuzte den Arm vor der Brust. »Ich bin es, Meneptah, He-«
»Meneptah! Es tut mir leid! Bitte, ich habe geschlafen. Komm, wirf einen Blick auf D’vorah.«
Der Israelit beugte sich über das schlafende Mädchen. Seine Hände waren sauber, aber sie waren auch das einzige an ihm, das nicht rußgeschwärzt war. Rührend zärtlich und behutsam berührte er D’vorah, und als Chloe sein Gesicht und den Ausdruck seiner Augen sah, bezweifelte sie, daß D’vorah lange ohne Familie bleiben würde. Sie zog sich zurück und besah sich zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Zerstörung.
Es war ein viel größeres Dorf gewesen als jenes, in dem sie geheiratet hatten. Vierzig bis fünfzig zweistöckige Häuser hatten sich um enge, ungepflasterte Wege gedrängt, die alle zu dem Brunnen in der Dorfmitte und zum Hauptplatz führten.
Außer dem Verschlag am Dorfrand, wo Cheftu seine Krankenstation eingerichtet hatte, stand kein einziges Gebäude mehr. Nur verkohlte Quadrate und Rechtecke zeugten noch von den Häusern, die an den Straßen aufgereiht gestanden hatten. Wie viele Menschen hatten hier gewohnt? Wie viele hatten überlebt?
Die Sonne brannte bereits in Chloes Nacken, und sie konnte nicht einmal entfernt nachvollziehen, welche Qualen die Verbrannten leiden mußten. Diese Menschen brauchten vor allem ein Dach über dem Kopf, Wasser und etwas zu essen.
Sie brauchte Ehuru. Sie brauchte ein paar Sklaven. Chloe biß sich auf die Unterlippe; sie sehnte sich danach, Cheftu zu sehen doch sie hatte Angst, ihn zu stören. Mit seiner Arbeit rettete er Menschenleben; sie konnte warten.
Chloe sammelte fünf trauernde Apiru-Frauen um sich, die allesamt eine Ablenkung gebrauchen konnten, und schickte sie, angeführt von Ehuru, in den Palast.
Solange die Frauen unterwegs waren, machte sie sich gemeinsam mit drei leichtverletzten, halbwüchsigen Knaben daran, den Brunnen zu säubern, indem sie der Reihe nach in die Tiefe stiegen, um körbeweise Heuschrecken von der Wasseroberfläche zu sammeln. Chloe war überzeugt, daß mindestens vierzigtausend Heuschrecken in den Brunnen gefallen waren. Es war eine grausige Arbeit, in der feuchtklammen Tiefe und inmitten der krabbelnden Insekten mit beiden Händen die Leichen der ertrunkenen Heuschrecken in Körbe zu schaufeln, die dann nach oben gezogen wurden.
Als der Brunnen einigermaßen sauber war - in anderen Worten, mit nur noch dreißig Prozent Heuschrecken -, befahl Chloe den zurückgekehrten Frauen, aus den vorn Palast mitgebrachten Laken eine Abdeckung für den Brunnen zu fertigen.
Sie und die drei Jungen machten sich währenddessen auf den
Weg und kehrten bald darauf mit einigen kahlgefressenen Baumstämmen zurück. Aus Schlamm, Salpeter und zermahlenen Heuschrecken mischten sie einen Zement, mit dem sie die Bäume im Boden verankerten. Dann spannten sie Leinentücher in mehreren Schichten über die vier Stämme. Anschließend trugen sie die Überlebenden behutsam auf Tragen aus Ästen und Leinwand in den Schatten.
Als eine der Frauen vor Hunger zusammenbrach, begriff Chloe, daß sie etwas zu essen brauchten. Ehuru hatte die Palastküche geplündert und war mit Fett, Geflügel, Honig
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