Die Prophetin von Luxor
von der Hand in den Mund gelebt, bis die Heuschrecken über uns herfielen. Sie haben alle Bäche verstopft und alles Grüne abgefressen. Nur weil wir sie gegessen haben, haben wir überlebt. Dann sind wir am Fluß angekommen und hätten nur noch wenige Tagesreisen vor uns gehabt, als sich eine schwarze Nacht über uns senkte und alle Leute in Panik gerieten. Es kam zu einer Meuterei, bei der wir den größten Teil der Mannschaft und den Kapitän verloren haben. Wir sind eben erst angekommen. Von meinen zwanzig Mann Begleitung sind nur noch fünf übrig.« Er seufzte und nahm Ehuru einen Weinkelch ab. »Die Schrecken an den Gestaden der Nacht können nicht schlimmer sein.«
»Bist du sofort zu mir gekommen?«
»Ganz recht, mein guter Freund. Ich weiß, daß man dir den Auftrag gegeben hat, auf sie aufzupassen, nachdem . «, er stockte. »Auf sie aufzupassen, nachdem sie hierher verbannt worden war. Ich habe gedacht, sie wollte Nesbek heiraten, aber nun soll sie statt dessen Thut heiraten . Ich weiß nicht, was hier gespielt wird.«
»Sie hat mich geheiratet.«
Makab lachte. »Sie haßt dich!«
Cheftu grinste und zog eine Braue hoch.
»So wie ich sie gehaßt habe!«
Makab schrubbte sich mit der Hand übers Gesicht, kippte dann den Rest des Weines hinunter und reichte Ehuru den Becher zum Nachfüllen.
»Wie?«
Cheftu seufzte. »Es würde Tage und dazu wesentlich mehr Wein brauchen, um das zu erklären. Beschränken wir uns darauf, daß sie eine Staatsgefangene ist, daß mir weniger als eine Woche bleibt, um Ägypten ein für allemal zu verlassen, und daß die schlimmste Plage von allen uns noch bevorsteht.«
Makabs Miene war haßerfüllt.
»Eine Staatsgefangene? Ein verbannter Erbprinz? Plagen? Das mußt du mir erklären, Cheftu. Nenn mir einfach die Fakten. Wieso ist sie eine Gefangene?«
»Sie hat versehentlich an ihrer Stelle eine andere Priesterin zu einem Tempelritual geschickt. Das andere Mädchen wurde als Opfer getötet.«
»Ein Opfer? Ein Menschenopfer? Das ist barbarisch! Seit dem Chaos haben wir Ägypter keine Menschenopfer mehr gebracht!«
»Seit dem Chaos ist auch die Sonne ohne Ausnahme jeden Morgen zum Himmel aufgestiegen. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen.«
Makab wandte den Blick ab. »Gut.«
Er blickte Cheftu über den Rand seines Bechers hinweg an.
»Also hat sie eine andere geschickt?«
»Ja. So sieht es aus.«
»Du klingst, als hättest du Zweifel.«
Cheftu kratzte sich an der Brust.
»Die habe ich auch. Irgendwie reimt sich das nicht zusammen. Hat hat ihr Urteil zu schnell gefällt. Sie ist Pharao, doch sie handelt nicht in Abstimmung mit den Hohepriestern. Sie hat RaEm sogar von Soldaten ihrer Priesterwürde entheben lassen.«
»Von einfachen Soldaten? Nur ein Hohepriester kann einem anderen die Priesterwürde nehmen. Hapuseneb mag zwar einen Großteil der Priesterschaft für Pharao, ewig möge sie leben!, eingenommen haben, doch ich kann mir nicht vorstellen, daß er diese Befugnis abgegeben hat.«
»So ist es«, bekräftigte Cheftu. »Es reimt sich einfach nicht zusammen.«
Makab leerte einen weiteren Becher Wein. »Und wieso hat man dich verbannt? Das stimmt doch nicht, oder?«
»Doch.« Er reichte Makab den Brief, den er wenige Augenblicke zuvor versiegelt hatte. »Ich habe dir geschrieben, weil ich dich bitten wollte, für meine Diener und meinen Besitz zu sorgen.«
Makab sah ihn an. »Ist Hatschepsut, ewig möge sie leben!, verrückt geworden? Sie kann dich nicht in die Verbannung schicken! Deine Position wurde dir über viele Generationen hinweg vererbt, genau wie mir die meine! Was hat sie für Gründe?«
Cheftu senkte den Blick. Wie sollte er diesem Musterknaben an altägyptischer Standfestigkeit erklären, daß er ein Hochstapler war, und zwar seit fünfzehn Jahren? Daß Makabs Schwester in Wahrheit eine Frau aus der Zukunft war, die mit einem Bogen schießen und ohne Sattel auf dem Pferderücken reiten konnte?
Makab sah ihn an, bis sein Gesicht von Verständnis erhellt wurde. »Es geht hier um RaEms Ka, nicht wahr?«
»Das ist die einfache, aber zutreffende Betrachtungsweise.«
»Sie hat das Ritual nicht begriffen, und deshalb mußte die andere Priesterin sterben, richtig?«
»Ja, das entspricht in etwa der Wahrheit.«
Makab stand auf und stellte sich an das Fenster zum Garten. »Ich habe gewußt, daß ihr irgend etwas fehlt, als ich sie in Karnak gesehen habe. Noch nie habe ich so grüne Augen gesehen. Es waren die Augen einer Fremden, und wir waren
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