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Die Prophetin von Luxor

Die Prophetin von Luxor

Titel: Die Prophetin von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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abschütteln, die seinen Geist marterten. Jetzt würden er und jeder Ägypter, der etwas Verstand hatte, voller Entsetzen in die untergehende Sonne blicken und sich fragen, ob sie möglicherweise das letzte Mal ihr Licht gesehen hatten. Ob dies die Nacht des Todes sein würde.
    Und ob sie ebensoviel Zerstörung bringen würde wie diese Dunkelheit. Innerhalb von drei Tagen war mehr als ein Fünftel der Stadtbevölkerung umgekommen, zumeist vor Angst. Alte Männer hatten in der Dunkelheit um sich gestochen und ihre Familien und Nachbarn getötet. Junge Frauen hatten ihre Kinder schützen wollen, doch ihnen nichts zu essen verschaffen können, weil sie solche Angst vor der Dunkelheit gehabt hatten. Ganze Familien hatten Selbstmord begangen, weil sie glaubten, daß Amun-Re gestorben war. Erschöpft fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht. In den Straßen stand Blut. In der Luft lagen die Trauerschreie der Menschen, die von ihrer Schuld zerfleischt wurden. Sie hatten in Panik getötet, ohne zu wissen, wen sie trafen.
    Gut, er konnte dieses Volk bestrafen - die Apiru, die Israeliten: sie schlagen, sie noch tiefer in die Sklaverei zwingen, sie sogar töten lassen. Doch welchen Preis würde ihr zorniger Gott dafür einfordern? Wenn ich die Konsequenzen nur auf meine Schultern nehmen könnte, dachte Thut. Um jene zu schützen, die den Thron und die Götter lieben und ihnen dienen.
    Doch ein Gott stellte sich nicht mit den Menschen auf dieselbe Stufe. Inzwischen war Thut fest davon überzeugt, daß sie es mit einem Gott zu tun hatten. Es gab keinen Zweifel, daß er mächtig war; offenbar kannte sein Volk nicht einmal seinen Namen und nannte ihn deshalb Elohim, »ihren Gott«. Hieß der Sonnengott Amun-Re nicht »der Verborgene«? Zwei nicht erkennbare Gottheiten rangen um das Land Ägypten. Offenbar hatte Amun-Re zur Zeit anderes zu tun und kümmerte sich nur wenig um sein Volk. Thutmosis wagte nicht einmal zu glauben, der Gott könnte angegriffen oder tot sein. Mit aller Kraft setzte er sich auf und stellte beide Füße auf den Boden.
    Dann war da noch Cheftu, sein jüngster Gefolgsmann, dem das Herz aus den Augen gesprochen hatte, als er mit ansehen mußte, wie RaEm aus dem Raum geschleift wurde. Immer noch bewachten Hats kushitische Leibwächter RaEms Zelle. Cheftu hatte Thut nicht in Gefahr gebracht, indem er ihn angefleht hatte, ein Wort für RaEm einzulegen. Diese Schuld würde Thutmosis ihm eines Tages vergüten.
    Thut stand auf; er hatte das Gefühl, seine Frauen oder Kinder seit Wochen nicht mehr gesehen zu haben. Die Kinder, die er womöglich noch heute nacht verlieren würde. Die Angst verlieh seinen Füßen Flügel, und fast laufend erreichte der Prinzregent die Türen zu seinem Harem.
    Dunkelheit senkte sich über Cheftu, Makab, Meneptah und den Kommandanten Ameni, der Cheftu seit einer Schlacht in Kush sein Leben schuldete. Cheftu spürte nassen Schweiß auf seiner Hand, als er sie um das Heft seines Dolches schloß. Heute nacht würde er töten, wenn es sein mußte, und niemand konnte ihm dafür die Absolution erteilen oder ihm vergeben, denn er würde es mit voller Absicht tun. Er betete nur, daß Gott ihm
    Chloe zurückgeben würde. Verglichen damit, sie zu verlieren, war der Verlust seines ägyptischen Erbes nur eine Kleinigkeit. Der Mond stand im zweiten Viertel; morgen wäre er voll. Meneptah warnte sie, daß morgen die Nacht des Todes käme. Er hatte ihnen beschrieben, wie sie sich schützen konnten, doch zu Cheftus Enttäuschung hatten weder Makab noch Ameni so aufmerksam zugehört, wie es angebracht war. Sie glaubten es immer noch nicht.
    Diese düsteren Gedanken würden ihn heute nacht nicht weiterbringen. Heute nacht - wo es in seiner Verantwortung lag, diese Männer sicher vor der Morgendämmerung nach Hause zu bringen, bevor der Alarm ausgelöst würde und er und Chloe auf einem schnellen Boot in Richtung des Großen Grüns unterwegs wären. Er hatte Gold, Juwelen, Essen und etwas anzuziehen dabei. Eine kostbare Ladung Gewürze hatte er bereits vorausgeschickt. Finanziell wären sie auf jeden Fall abgesichert.
    Leise schlichen sie durch das Laub und kamen im Schatten des großen verlassenen Tempels wieder zusammen. Gestern nacht hatte sich Ankhem-Nesrt in seinen Garten gestohlen und ihm erzählt, was sie von RaEms Wachen im Tempel erlauscht hatte. Sie hatte ihm einen Plan der Tempelanlage skizziert und verschiedene Stellen gekennzeichnet, an denen es unterirdische Kammern und Räume geben mochte.

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