Die Prophetin von Luxor
du hier bist!« Er maskierte seine Worte unter anderen Schreien und Flüchen, und Chloe kauerte sich in das hinterste Ende der Höhle. Die Soldaten mochten noch nicht wissen, daß sie hier war, doch sie brauchten keine Tempelschule besucht zu haben, um zu erkennen, daß ein kochendes Essen und ein arbeitender Mann nicht zusammenpaßten. Bedächtig spannte sie den Pfeil auf die Sehne. Drei Männer waren zu sehen, allerdings konnten sich außerhalb ihres Blickfelds noch mehr verbergen. Die Soldaten hatten Cheftu ins Haus geschubst und hockten nun um das Feuer hinter dem Haus. Sie streckte den Kopf aus der Höhle; ein Mann hatte ihr den Rük-ken zugedreht und urinierte ins Meer. Chloe schickte den Pfeil von der Sehne und lief zum Haus, als sie den Mann auf die Knie fallen sah, während sein Todesschrei im Dröhnen der Wellen unterging und seine Hände hektisch den Rücken abtasteten.
Die Dunkelheit in der Hütte war angenehm, doch Cheftu durfte keinen Laut hören lassen. »Geliebter?« flüsterte sie auf englisch. Er stöhnte zur Antwort, und sie lief zu ihm, wobei sie um ein Haar über die fast fertige Hängematte gestolpert wäre. Er war gefesselt, konnte sich aber einigermaßen auf den Beinen halten. Chloe schnappte ihren Gürtel, den Umhang und den Bauchbeutel, dann durchtrennte sie die Flachsseile. Sie hörten, wie sich die drei Soldaten fragten, wo ihr Kamerad so lang blieb.
Mit angehaltenem Atem lauschten sie den Witzen der Soldaten über ihren Proviant aus ungesäuertem Brot und Trockenfleisch. »Ein Schluck Dattelwein würde ihm bestimmt helfen«, meinte einer, und die anderen lachten. Chloe kroch zur Tür und versuchte, einen Fluchtplan zu fassen. Thief war verschwunden, der unbekannte Geruch der Soldaten hatte seine Angst vor Raubtieren geweckt. Chloe suchte mit den Augen ihre kleine Bucht ab . wohin könnten sie nur fliehen? Es war egal - sie packte Cheftus Weidenkorb mit Deckel und warf ihr Essen und ihre Besitztümer hinein.
Sie fing im Dunkel Cheftus Blick auf, und sie gaben sich einen kurzen Kuß. Dann liefen sie quer über den Strand, an dem Sterbenden vorbei, der in einer Pfütze trocknenden Blutes lag, und um den Felsvorsprung herum zurück in Richtung Ägypten. Sobald sie die andere Seite der Klippe erreicht hatten, lauschten sie und versuchten, über dem Rauschen der Wellen etwas zu hören. Die Brise kühlte Chloes Angstschweiß, sie rückte den Weidenkorb zurecht. Cheftu sah nach oben und gab ihr einen Wink. Beide machten sich an den Aufstieg.
Schreie wehten zu ihnen herauf. Ihre Spuren waren gut zu sehen. Chloe verbiß sich einen Aufschrei, als Thief plötzlich an ihrem Bein vorbeistrich. Sie liefen ins Landesinnere, auf den Brunnen zu. Dort würden sie weitersehen.
Am Brunnen füllte Chloe mit flatternder Hand ihre Wassersäcke, während Cheftu Wache hielt. Immer noch auf trockenem Grund, schlugen sie den Weg nach Nordwesten ein, wild entschlossen, zu entkommen, aber ohne zu wissen, wohin sie entkommen sollten.
Sie liefen durch ein kleines Wäldchen, das parallel zu den Klippen wuchs, krachten achtlos durch das Unterholz und landeten plötzlich bei einem zweiten Brunnen, wo sechs Soldaten, drei Streitwagen und sechs Pferde Rast machten. Einen Moment erstarrten alle Beteiligten wie gelähmt, dann trennten sich Cheftu und Chloe hastig und versuchten, dem kleinen Lager auf je einer Seite auszuweichen. Der kommandierende Unteroffizier schickte Chloe vier Männer hinterher. Sie brachten Chloe zu Fall, und ihre Schreie ließen auch Cheftu anhalten. Zwei weitere Soldaten hinderten ihn daran, in ihre Nähe zu kommen, während sie auf die Füße gezerrt wurde.
Chloe spielte mit dem Gedanken, sich zu wehren, bis sie das Messer sah, das man Cheftu an die Kehle drückte. Schweiß rann ihm vom Rücken, sein Haar war klatschnaß, sein Schurz zerrissen, und seine Arme und Beine waren von Kratzern übersät. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie ihm ins zornentstellte Antlitz blickte. Doch als er die Resignation in ihrem Gesicht sah, wurden seine Augen weich. »Verrate ihnen nicht, daß wir Ägypter sind«, mahnte er auf englisch. »Sonst sind wir so gut wie tot.«
Miteinander englisch zu sprechen, war eine gute Idee, trotzdem wurden sie von den Soldaten mit Fragen bombardiert. Cheftu starrte den Anführer steinern und mit hoch erhobenem Haupt an. »Wieso nehmt ihr uns gefangen?«
»Bist du Israelit?« wollte der wissen.
Cheftu schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sind Freie.«
Der Unteroffizier
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