Die Prophetin von Luxor
den massigen Brustkorb des jungen Löwen und schlief ein.
Chloe verlor jedes Zeitgefühl. Manchmal zogen sie bei Tag weiter, manchmal bei Nacht. Jede Nacht wurde sie von einem anderen Soldaten bewacht, und nur der Wassermangel und die Erschöpfung bewahrten sie davor, vergewaltigt zu werden. Sie hatte keine weitere Gelegenheit, mit Cheftu zu sprechen, doch wenn sich ihre Blicke trafen, bevor sie ihrem nächtlichen Aufpasser zugeteilt wurde, teilten seine Augen mit einem knappen Zwinkern und einem Lächeln ihr seine Liebe mit. Einmal hatte er ihr eine Nachricht in den Sand geschrieben, Worte, die sie am nächsten Morgen vor dem Aufbruch entdeckte. »Je t’aime et j’espère.« Ich liebe dich und ich hoffe.
Beide waren bis auf die Knochen abgemagert. Cheftus Bart blieb ungekämmt, sein Haar war dreckig und fettig. Von seinen brandblasigen breiten Schultern schälte sich die Haut, und Chloe konnte die Rippen in seinem Rücken zählen. Wasser bekamen sie genug; Pharao wollte alle Überlebenden lebendig haben, er hatte nur nicht genau festgehalten, wo die Grenze zwischen lebendig und tot verlief. Zum Glück waren abends alle zu erschöpft, um ihnen noch irgendwelche Antworten entlocken zu wollen.
Chloe spürte in jeder Ritze und Spalte ihres Körpers Sand. Ihre Brüste und ihr Hintern waren fleckig von den groben Händen der Soldaten, und ihr Hemd wie auch ihr Schurz hingen ihr in Fetzen am Leib und boten kaum noch Schutz. So stolperten sie weiter. Cheftu hütete ihre mageren Besitztümer, und Chloe wußte tief im Herzen, daß sich irgendwann eine Möglichkeit zur Flucht bieten würde; sie mußten nur bereit sein.
Die Sonne brannte alles nieder. Chloe spürte, wie ihre Haut in der ausgetrockneten Luft richtiggehend brutzelte. Ihre Nase blutete, so trocken war es, und selbst die Soldaten zeigten Anzeichen von Erschöpfung, trotz ihrer heilenden Öle und der fettreichen Ernährung. Die Wasservorräte gingen allmählich zur Neige, und die Gemüter erhitzten sich zusehends. Dann brach das Rad an Cheftus Streitwagen. Man würde mindestens zwei Soldaten brauchen, um es zu reparieren, darum sollte Chloes Gruppe mitsamt den Pferden durch die tiefen Schluchten zur Oase ziehen und von dort aus einen weiteren Trupp zurückschicken - eine Reise von nicht mehr als anderthalb Tagen.
Cheftu wurde neben sie an den übriggebliebenen Streitwagen gefesselt. Inzwischen mußten die Soldaten ebenfalls zu Fuß gehen, denn die Pferde waren dem Tode nahe. Plötzlich brach der Braune mit einem erbarmungswürdigen Schrei zusammen, und der gesamte Streitwagen kam mit dem letzten Pferd zum Stehen.
Chloe und Cheftu sahen einander an; das war ihre Chance! Der Unteroffizier lief, ägyptische Flüche ausstoßend, mit den Soldaten nach vorn. Ein paar Sekunden lang kümmerte sich niemand um Cheftu und Chloe. Cheftu schaffte es, sich aus dem schlaffen Seil zu befreien und einen Soldaten mit einem Speer außer Gefecht zu setzen.
Der Unteroffizier brüllte: Chloe drehte sich um und sah die anderen beiden Soldaten auf sie zutaumeln, sich mühsam auf den Beinen haltend, denn der Wadi war mit spitzen Steinen übersät. Cheftu drückte ihr ein Messer in die Hand, sie kniete nieder und befreite sich selbst. Noch während sie ihre Sachen und das letzte Wasser der Soldaten aufsammelte, hörte sie Kampfgeräusche. Cheftus Köcher und ihren Bogen vor der Brust, verkroch sie sich hinter dem Pferd, das nervös vor seinem toten Artgenossen zurückscheute. Um sie herum hörte sie Knochen knacken und Fleisch auf Fleisch prallen.
Cheftu und der Unteroffizier wälzten sich im Sand, die Fäuste flogen. Die anderen Soldaten kamen ihrem Kameraden zu Hilfe. Chloe setzte einen Pfeil auf die Sehne, zielte und schoß. Ein Soldat fiel tot zu Boden, der zweite suchte Schutz. Cheftu schrie auf, und Chloe sah, daß der Unteroffizier ihn in den Schenkel gestochen hatte. Das Blut färbte alle beide rot. Cheftu würde unterliegen, der tagelange Hunger und die Gewaltmärsche hatten ihn alle Kraft gekostet. Sie kreischte auf, lenkte damit den Unteroffizier für einen Sekundenbruchteil ab und ermöglichte es Cheftu auf diese Weise, seine letzte Kraft zu einem entscheidenden Schlag zu bündeln. Chloe durchschnitt das Zaumzeug des Pferdes und zog sich hoch. Das Pferd stieg auf die Hinterbeine und zertrampelte den verwundeten Soldaten. Bleich kam Cheftu auf sie zugelaufen. Stöhnend zog er sich hinter ihr auf den Pferderücken, dann ritten sie durch das gewundene Felstal nach Westen,
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