Die Prophetin von Luxor
sie ein Ganzes. Die ersten Tage arbeiteten sie in der Lehmgrube, formten Ziegel, aus denen sie ein Haus bauen würden, und kühlten sich nachmittags ab, indem sie sich im Schlamm wälzten. Gegen Atmu trugen sie ihr Tagespensum an
Ziegeln herunter und legten sie aus, entsprechend dem auf dem Boden aufgezeichneten Grundriß ihres Zwei-Zimmer-Hauses mit solidem Flachdach (als Lagerfläche für die heißen Nächte) sowie einem Alkoven zum Kochen. Laut Plan sollte die Tür zu den Palmen hinzeigen. Eines Tages, prophezeite Chloe, würde sie eine Hängematte flechten, in der sie schaukeln, reden, sich lieben konnten.
Eines Morgens entdeckten sie beim Aufwachen eine Skorpionfamilie auf ihrer Schlafmatte, nur Zentimeter von Cheftus Bein entfernt. Schlaftrunken und mit klopfendem Herzen hatte Chloe den ersten Skorpion mit einem Dolch erschlagen, dann waren sie beide nackt in den kühlen Morgen hinausgerannt.
Fünf Tage nach den Skorpionen stand das Haus. Es hatte einige Mühe gekostet, die große Fensteröffnung einzubauen und sie mit Ästen abzustützen, doch dank einiger zusätzlicher Palmwedel und der Leinenfetzen, aus denen sie eine bewegliche Markise gefertigt hatten, wirkte ihre neue Behausung durchaus wohnlich - wenn es einen nicht störte, daß man keine Eingangstür hatte.
Ihre Kochkünste verbesserten sich ständig. Cheftu erklärte ihr, daß das pelzige braune Ding, das sie gefangen hatte, eine Art Hase sei. Er zeigte ihr, wie man ihn aufschnitt, ausnahm, mit in der Nähe wachsenden Kräutern füllte und dann mitsamt der Haut briet. Erstaunlicherweise löste sich die Haut von selbst, wenn das Fleisch durch war. Dank des darin enthaltenen Fettes schmeckte das Fleisch dadurch weniger trocken und zäh.
Sie suchten Austern und fingen mehr Fische. Das Mehl war ihnen ausgegangen, also gab es weder Brot noch Bier, das daraus gebraut wurde.
»Du hast mir nie etwas von deiner Familie erzählt«, sagte Chloe eines Abends. Sie hatten den Tag damit zugebracht, einen ackerfähigen Landstreifen zu bestellen, und sorgfältig die kleinen Schößlinge eingesetzt, die sie während der vergangenen Wochen gezogen hatten.
Sex, ihre wichtigste Freizeitbeschäftigung, kam im Moment nicht in Frage. Die gute Nachricht war, daß die Steckenkrautsamen wirkten. Cheftu war erleichtert.
»Sie kommen aus dem Oryx-«
»Nein, nein«, unterbrach sie ihn auf englisch.
»Deine französische Familie.«
Cheftu verstummte augenblicklich. »Die ist unwichtig«, verkündete er steif.
»Das ist sie ganz und gar nicht! Du hast erzählt, du hast einen älteren Bruder, richtig? Was macht er, oder was hat er gemacht?«
Cheftu stand auf. »Ich glaube, ich gehe heute nacht mit Thief jagen.«
»Schleich dich nicht einfach davon! Ich habe dich nicht nach deiner ehemaligen Geliebten gefragt, nur nach deiner Familie! Was ist denn los mit dir?«
Er packte sie an den Unterarmen. »Sie ist unwichtig. Frag nicht. Man hat mich betrogen, und ich habe keine Lust, mich daran zu erinnern.«
»Betrogen? Wer?«
»Mein Bruder. Gute Nacht.«
Mit offenem Mund starrte Chloe ihm nach, während er und Thief den Weg hinaufstiegen und hinter der Klippe verschwanden. Würde sie diesen Mann je wirklich kennen?
»Soviel zu >ohne Geheimnisse, ohne Beschränkung««, flüsterte sie lakonisch.
Ohne Vorwarnung wurden sie aus ihrem eben erblühenden Leben gerissen.
Der Tag unterschied sich in nichts von den vorangegangenen. Cheftu bestellte mit einer provisorischen Hacke aus Muscheln und Ästen ein zukünftiges Feld, und Chloe hatte eben einen Fisch zum Mittagessen gefangen und ihn ausgenommen, um ihn dann auf ihren Felsengrill zu legen. Plötzlich legte Thief, der sich zuvor ganz auf den Fisch konzentriert hatte, die Ohren an und bewegte sich, teils schleichend, teils rennend, auf die Klippe zu. Über dem Rauschen der Brandung konnte Chloe Kampflärm vernehmen. Wertvolle Sekunden vergingen, bevor sie eine Entscheidung gefaßt hatte und die Klippe hinaufkletterte. Oben schielte sie vorsichtig über die Kante und sah Cheftu zwischen zwei Soldaten stehen. Sie unterhielten sich, doch sie konnte kein Wort verstehen. Der Duft gebratenen Fisches wehte in ihre Richtung, darum rannte sie wieder nach unten und raste in die Höhle, um Bogen und Köcher zu holen. Sie durchkramte hastig den Korb und geriet fast in Panik, als sie Thief knurren hörte und sah, wie sich sein hellbraunes Fell sträubte.
Dann hörte sie Cheftu auf englisch schreien: »Versteck dich! Sie wissen nicht, daß
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