Die Prophetin
ich erfunden habe.«
»Was haben Sie vor, Mr. Havers?«
»Wir locken sie in eine Falle, Teddy. Diese Falle wird unsere kluge kleine Archäologin nicht vermuten und sich deshalb schneller darin fangen, als sie es für möglich hält.«
Sacramento, Kalifornien
»Haben Sie diese Frau gesehen?«
Die Frau an der Rezeption im Dew Drop Motel blickte auf das Photo. »Sieht fast wie eine Frau aus, die gestern abend hier ein Zimmer gemietet hat«, antwortete sie.
»Können Sie mir vielleicht sagen, unter welchem Namen sie sich eingetragen hat?«
Diesmal stellte nicht Zeke die Fragen, sondern sein Partner Raphael. Zeke wußte schon seit langem, daß sein entstelltes Gesicht bei Männern und Frauen unterschiedliche Reaktionen auslöste. Männer reagierten wohlwollend auf die Narbe, die durch Augenbraue, Wange und Lippen schnitt. Sie schienen zu glauben, Zeke habe ein männliches Ritual bestanden, was sie beeindruckte und ihm ihre unbewußte Anerkennung verschaffte. Frauen dagegen waren unberechenbar in ihren Reaktionen. Meist fanden jüngere die Narbe faszinierend, vielleicht sogar aufreizend. Ältere Frauen dagegen reagierten abweisend, vermutlich weil die Narbe etwas Gefährliches andeutete.
Als Zeke vor dem Büro des Motels angehalten und durch das Fenster eine grauhaarige Frau an der Rezeption gesehen hatte, schickte er seinen jungenhaften Partner hinein, denn er wußte, Raphael mit der Hornbrille und dem Lockenkopf wirkte harmlos wie ein Chorknabe.
Die Frau ahnte bestimmt nicht, daß Raphael bereits zwölf Morde auf dem Gewissen hatte.
»Ich darf Ihnen den Namen nicht nennen«, sagte die Frau jetzt, aber er lächelte charmant, legte den Kopf schief und sah sie mit seinen feuchten Hundeaugen bittend an. Sie schob ihm das Gästebuch über die Theke. Er überflog die Einträge. ]ane Smith. Das mußte sie sein! »War sie in Begleitung?« fragte er. »Angeblich nicht, aber beide Betten waren benutzt. Die Putzkolonne hat beim Saubermachen einen Reisescheck unter der Tischlampe gefunden. Miss Smith hat sich also nicht einfach davongeschlichen. «
»Einen Reisescheck?«
Sie zeigte ihm den Scheck – American Express, ausgestellt und unterschrieben von ›Michael Garibaldi‹.
Das war der Priester.
Raphael hätte beinahe laut gelacht. Zeke würde sich über die Ironie des Schicksals freuen.
Die Jahrtausendwende half ihnen bei der Suche. Wenn die Menschen nicht den Weltuntergang gefürchtet hätten, dann wären alle Motels und Hotels in Kalifornien geöffnet gewesen, und sie hätten tausend Leute gebraucht, um nach der Frau in Begleitung eines Priesters zu suchen.
»Wissen Sie zufällig, in welche Richtung die beiden gefahren sind?«
»Tut mir leid.«
Als er sich umdrehen wollte, sagte die Frau: »Warten Sie! Ich werde Lucinda fragen…« Sie wählte bereits eine Nummer. »Wer ist Lucinda?«
»Sie hat das Zimmer saubergemacht. Vielleicht hat sie die beiden noch gesehen…«
Fünf Minuten später stieg Raphael zufrieden in den Wagen. »Läßt du unseren Boß wissen, daß wir der Dame auf der Spur sind?«
Zeke erwiderte abschätzig: »Sollen seine teuren Computer sie doch finden!«
Santa Fe, New Mexico
Teddys T-Shirt hatte den vielsagenden Aufdruck:
›Informationen wollen frei sein‹.
Das Faszinierende an der Jagd nach Informationen, so fand er, war die Herausforderung, sich unbemerkt an sie heranzupirschen. Das war das Meisterstück. Die gewonnene Information war für den Hacker eigentlich zweitrangig, und die Jagd auf einen Menschen anstelle einer Spielfigur war noch besser – eine Archäologin floh mit alten Schriftrollen. Diesmal hatte es Teddy mit dem Verstand eines wirklichen Menschen zu tun und nicht nur mit einer Kodierung. Aber für Teddy galt auch das Motto der Hacker: Man darf alles tun, aber niemand darf dabei körperlich Schaden nehmen.
Miles wußte das. Er wußte, daß Teddy sich am liebsten als eine Art Ritter sah. Auch er hielt sich an Regeln und Moralgesetze. Deshalb achtete Miles darauf, daß Teddy nichts von Zeke erfuhr oder von dem Zusammenhang mit dem Mord an Daniel Stevenson.
Teddy Yamaguchi war der Beste auf seinem Gebiet, und Miles brauchte ihn. Aber heute hatte er es vorge-zogen, allein im Kommunikationszentrum zu bleiben. Deshalb hatte er Teddy den Abend freigegeben. Miles rechnete jeden Augenblick mit dem Eintreffen wichtiger Informationen. Er durfte nicht riskieren, daß Teddy etwas davon erfuhr.
Die rechte Hand darf nicht wissen, was die linke tut. Miles hielt sich an
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