Die Prophetin
Pearson, einige Vertreter der Kirchen haben erklärt, die Schriftrollen seien blasphemisch und ketzeri-sche Pearson erwiderte leise lachend: ›Nun ja, die etablierten Kirchen sollten sich von den Schriftrollen nicht bedroht fühlen, sondern aufmerksam zur Kenntnis nehmen, was uns dieser Text über die Anfänge unserer Kirchen sagen kann, denn er ist frei von den Geschichten, Legenden und Märchen, die im Laufe der vielen Jahrhunderte mit dem Christentum in Verbindung gebracht worden sind. Das, was wir dort erfahren, könnte sehr befreiend wirken‹
›Wollen Sie damit andeuten, Dr. Pearson, daß uns das Neue Testament nicht sagt, wie die ursprüngliche christliche Kirche aussah?‹
Catherine setzte sich auf einen Stuhl, denn sie wollte sich das Gespräch anhören.
Möglicherweise nicht<, antwortete Dr. Pearson. >Das Markus-Evangelium wurde um das Jahr 65 geschrieben, das Matthäus – und Lukas-Evangelium, so glaubt man, etwa zwanzig Jahre später, und das Johannes-Evangelium um das Jahr 95. Wir dürfen nicht vergessen, trotz intensiver Forschungen sind die Original-handschriften der vier Evangelien nie gefunden worden. Sie sind im Laufe der Zeit verlorengegangene
›Wie können wir dann dem Neuen Testament überhaupt vertrauen?‹
›Wir haben Kopien. 1925 wurde zum Beispiel ein Papyrus-Fragment in der ägyptischen Wüste gefunden und an Archäologen in Kairo verkauft. Nach wissenschaftlicher Prüfung stellte man fest, daß es sich um einen griechischen Text handelte, um eine Stelle aus dem Johannes-Evangelium, aber er wurde hundert Jahre nach der Kreuzigung geschrieben. Es ist in der Tat das älteste Textfragment des Neuen Testaments, das wir besitzen. Die ersten Ausschnitte, die uns aus dem Lukas- und Matthäus-Evangelium vorliegen, stammen aus dem Jahr 200 n. Chr. Das heißt, die Kreuzigung lag zu diesem Zeitpunkt bereits einhundert-siebzig Jahre zurück. Außerdem gibt es ein Fragment des Markus-Evangeliums aus dem Jahr 225.‹
›Sie sagen, das Markus-Evangelium wurde um das Jahr 65 geschrieben, aber ein Fragment der ersten Kopie, die wir haben, stammt erst aus dem Jahr 225?‹
›Richtig. Damit stellt sich natürlich die brisante Frage, welche Veränderungen die Evangelien in all den vielen Jahren erfahren haben.‹
›Danke!‹ sagte der Moderator. ›Liebe Zuhörer, Sie können jetzt im Studio anrufen. Sie kennen die Nummer, und Dr. Pearson wird Ihre Fragen beantworten. Und hier ist bereits die erste.‹ ›Herr Doktor, wie immer Sie auch heißen mögen, für Ihre Worte werden Sie in der Hölle brennen…‹ ›Danke. Nächster Anruf, bitte.‹
›Dr. Pearson, wollen Sie behaupten, das Neue Testament ist nicht das von Gott offenbarte Wort?‹
›Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Evangelien sind die Worte Gottes. Aber wir kennen nicht die ursprünglichen Worte.‹ Catherine spürte Garibaldi, der hinter ihr stand. Die Spannung im Raum stieg merklich, aber er schwieg. >Wir wissen, es kam nach dem Tod von Jesus zu einem Machtkampf^ sagte Pearson.
›Das ist in Urkunden dokumentiert. In den ersten hundert Jahren gab es im Römischen Reich eine große Zahl christlicher Sekten mit unterschiedlichen Glaubensvorstellungen, Regeln und so weiter. Die Frühchristen stritten darüber, was der richtige Glaube sei. Es zirkulierten viele Evangelien und Briefe. Einige Gruppen hielten sich an die Lehren von Petrus, andere an die von Paulus. Erinnern wir uns, Petrus zum Beispiel bestand darauf, daß alle Männer, die sich zürn christlichen Glauben bekehrten, beschnitten wurden. Paulus war anderer Meinung. Die Auseinandersetzungen um den richtigen Glauben dauerten noch zweihundert Jahre an. Splittergruppen gründeten eigene Kirchen, und alle behaupteten, den wahren Glauben zu vertreten, aber sie taten es mit unterschiedlichen Ritualen, Gebeten und Vorstellungen von der Persönlichkeit Jesu und seiner Worte. Erst im vierten Jahrhundert setzte sich das mächtigste ‹Lager› durch.
Diese Christen stellten zusammen, was sie das Neue Testament nannten. Sie entschieden sich für nur vier Evangelien von den vielen, die damals allgemein verbreitet waren, und erklärten alle anderen für ketze-risch. Wenn die Schriftrollen, die Dr. Alexander aus Ägypten geschmuggelt hat, tatsächlich Berichte von Augenzeugen der Mission des Herrn hier auf Erden sind, dann werden wir durch diese Texte vielleicht zum ersten Mal einen wirklichen Einblick in die Ursprünge des Christentums und seiner Intentionen vor den inneren
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