Die Prophetin
Telefonnummern und all die praktischen Dinge, die man in einem Büro braucht – Büroklammern, Radiergummi, Notizblöcke, Locher usw. Catherine arbeitete an dem Schreibtisch, der am Fenster stand.
Von dort hatte sie den eindrucksvollen Blick auf den See und die ›alten‹ Tempel. Michael saß mit dem Rücken zu ihr an der anderen Seite des Raums vor dem Laptop und suchte im Internet nach Papyri. Der Anblick seiner breiten Schultern, die verläßliche Hilfsbereitschaft, sein Durchhaltevermögen und seine Liebenswürdigkeit gehörten inzwischen wie selbstverständlich in ihr Leben. Er konnte auch zärtlich sein, wie am Abend zuvor in dem Motel, als er das Kätzchen gestreichelt und mit Milch gefüttert hatte…
Er drehte sich um, als spüre er ihre Augen auf sich gerichtet, und sagte lächelnd: »Ich habe hier vermutlich die genaueste Aufstellung aller Könige im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus. Die Könige von Parthien, Armenien und Trakien, von Phraates bis Vardenes, Artivastes bis Romotacles. Es gibt sogar einen Morwan, der, wie ich feststelle, eine Königin war. Aber unter ihnen ist kein einziger Tymbos zu finden!«
»Ich habe einen neuen Suchbegriff«, sagte Catherine. »Schalimar.«
»Wie das Parfüm?«
Sie stand auf und massierte sich den Nacken. Es war inzwischen dunkel geworden. Sie erinnerte sich nicht daran, den Sonnenuntergang bemerkt zu haben. »Es ist ein Land im Leben nach dem Tod. Vielleicht finden wir etwas darüber. Vielleicht gibt es irgendwo eine Kopie dieses Kapitels. Es könnte möglicherweise
›Schalimar-Fragment‹ heißen. Vielleicht bringt es uns weiter.« Sie nahm aus der Minibar eine Flasche kaltes Mineralwasser und füllte zwei Gläser.
»Gut, suchen wir nach Schalimar.« Er klickte und tippte inzwischen schon geübt auf die einzelnen Menü-
punkte, um sich in das richtige Programm einzuwählen. Catherine trat neben ihn und stellte das Glas Wasser auf seinen Schreibtisch. Neugierig blickte sie auf den Bildschirm.
RELIGION
Eine Liste mit über zweitausend Einträgen erschien, von ›Aristoteles‹ bis ›Zoroaster‹. Es gab auch Stichwörter wie: ›Der Gottesbeweis in Cyberspace‹ und >Der Beichtstuhls Garibaldi klickte auf ›Hinduismus‹
und dann wieder auf ›alt.Hindu archives‹. Auf der Home Page stand: ›Global Hindu Electronic Network, sponsored by Hindu Students Council.‹ Garibaldi öffnete das Unterverzeichnis: ›alt.hindu.archives, No-vember 1999‹, und wieder erschien eine Liste mit tausend Einträgen. »Also, verehrte Frau Doktor«, sagte Garibaldi. »Ihre Wahl?«
Catherine überflog die Liste, schüttelte den Kopf und seufzte. Es waren einfach viel zu viele Verweise.
»Fangen wir noch einmal an«, sagte Garibaldi und öffnete
YAHOO: RELIGION VIRTUAL LIBRARY.
Die elektronische Adresse verriet, daß sie die Universität von Freiburg angewählt hatten. Das Laden der Datei würde ein paar Minuten in Anspruch nehmen, denn die Meldung auf dem Bildschirm lautete: empfangen: 3347 Bytes von 149.622 Bytes.
»Dazu fehlt mir die Geduld«, murmelte Catherine. Sie hatte das Gefühl, die Schmerzen in Nacken und Schultern würden nie verschwinden. Ihr fehlten Schlaf und ein normales Leben. »Gut, suchen wir auf Lycos«, sagte Garibaldi. »Das geht am schnellsten und ist auch sehr umfassend.« Es dauerte nicht lange, und er rief: »Vierhundert Einträge!« Er ließ die Liste abrollen und fand unter ›Schalimar‹: Designer-Mode, den Geburtsort eines Astronauten in Florida und ein Hotel in Las Vegas. Nach fünf Minuten Suche deutete immer noch nichts auf eine alte Schriftrolle oder auf die Kopie einer solchen hin. »Tut mir leid«, murmelte er und drehte sich um. »Ich hatte wirklich geglaubt, wenn wir ungestört Online bleiben können, würden wir etwas finden. Noch dazu, wo uns in diesem Hotel ein hochkarätiges System und eine sehr schnelle Software zur Verfügung stehen.« Mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: »Wissen Sie eigentlich, daß man hier im Atlantis Dianuba Technologies Software und auch das schnelle neue Scimitar benutzt, das Miles Havers für das Internet hat entwickeln lassen…«
»Das wundert mich nicht«, erwiderte sie und ging langsam zu ihrem Arbeitsplatz zurück. »Aber es würde mir eine gewisse Befriedigung verschaffen, Havers mit seiner eigenen Software zu schlagen.« Vor dem Fernseher blieb sie zögernd stehen. Sie hatten bewußt den ganzen Tag keine Nachrichten gesehen, um nicht durch neue Meldungen abgelenkt zu
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