Die Prophetin
einmal mußte es ihr gelingen, das Fragment und den Korb aus Ägypten zu schaffen. Sie mußte vorsichtig vorgehen und bei der riskanten Aktion auch an ihre Sicherheit denken. Aber dazu brauchte sie Hilfe.
In dieser Lage gab es nur einen Menschen, auf den sie sich hundertprozentig verlassen konnte…
Auf der Fahrt vom Lager zum Hotel hatte Catherine beschlossen, Julius nicht anzurufen. Sie wollte etwas Illegales und Unmoralisches tun. Ihr Plan würde ihrem wissenschaftlichen Ruf schaden, und wenn sie Pech hatte, landete sie sogar in einem ägyptischen Gefängnis. Sie konnte Julius unmöglich in dieses Abenteuer hineinziehen.
Deshalb blieb nur Daniel.
Catherine wußte, daß Daniel stolz darauf war, einen fragwürdigen Ruf zu haben. Er liebte das Risiko, und man konnte sich immer darauf verlassen, daß er etwas Unerhörtes tat. Das war schon an dem Tag vor sechsundzwanzig Jahren nicht anders gewesen, als sie ihn kennenlernte. Eine Bande rauflustiger Jungen hatte sie, die ängstliche Zehnjährige, im Schulhof in eine Ecke getrieben. Die Bande verhöhnte und ver-spottete sie. Plötzlich tauchte ein magerer kleiner Junge aus ihrer Klasse auf, mit dem sie bisher aus Schüchternheit nie gesprochen hatte, vertrieb die Jungen mit seinen Fäusten und rettete sie wie ein edler Ritter. Der Held war Daniel Stevenson und wie Catherine ein Außenseiter in der Schule.
Seit diesem Augenblick war Daniel für Catherine immer ein zuverlässiger Freund und sie seine Freundin geblieben. Sie tröstete ihn beim Tod seiner Mutter, und er tröstete Catherine, als sie ihre Eltern verlor. Daniel hatte ihr in der finsteren Nacht vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag aus dem Abgrund geholfen.
Nur Daniel verstand wirklich, weshalb Catherine aus der Kirche ausgetreten und eine Rückkehr zum Glauben für sie ausgeschlossen war.
Auch Daniel war in der letzten Nacht in ihrem Traum gewesen, denn er gehörte zu der quälenden Erinnerung. Danno, du warst der einzige in der Klasse, der nicht gelacht hat, als ich mit dem Schild um den Hals auf dem Hocker stand… Catherine blickte auf ihre Uhr. In Mexiko war es kurz vor acht Uhr morgens. Sie kannte Daniels Arbeitsgewohnheiten. Er würde das Lager bald verlassen und sich auf den Weg zu dem Maya-Grab machen. Dort wäre er die nächsten zehn Stunden nicht mehr erreichbar. So viel Zeit hatte Catherine nicht. Sie mußte ihm die Information zukommen lassen. Aber wie?
Mexiko
»Da ist es!« rief Daniel, und seine Stimme hallte dumpf in dem Felsengrab. Schnell tippte er auf seiner Tastatur: ›Seht ihr es, Houston? Habt ihr das Bild?‹
Kurz darauf erschien auf dem Bildschirm des Laptops die Antwort: ›Wir sehen es, Dr. Stevenson. Glück-wunsch!‹ Daniel dämpfte das Licht der Laterne und erhöhte die Helligkeit auf seinem Bildschirm, um das Bild besser und schärfer zu bekommen. Er lächelte glücklich. Kein Zweifel, er hatte es geschafft. Endlich hatte er den Beweis erbracht. Er konnte nachweisen, daß die Vorfahren der Mayas Überlebende des verschwundenen Kontinents Atlantis waren. Wenn doch Cathy diesen Augenblick seines Triumphs mit ihm hätte teilen können!
Auf dem Bildschirm erschien ein lachendes Comic-Gesicht. Dann schrieb jemand aus dem Institut in Santa Barbara: ›Wer zuletzt lacht, lacht am besten, Danny Boy!‹ Daniel betrachtete glücklich die übereinander-liegenden Bilder auf dem Monitor, das Ergebnis jahrelanger Arbeit, und lachte. Der Ton brach sich an den feuchten Wänden der Grabkammer. Dann wurde es still. Cathy…
Sie als einzige hatte nicht gelacht, als er zum ersten Mal seine These aufstellte, daß die Vorfahren der Mayas Minoer gewesen seien, die sich nach dem Untergang von Atlantis an die Küste von Yukatan retten konnten. Cathy hatte ihn in den langen einsamen Wochen mit ihren Briefen und Telefonaten moralisch unterstützt, während er in der engen Grabkammer des Maya-Königs arbeitete und vom ohrenbetäubenden Lärm des Generators beinahe taub wurde. Cathy hatte ihn daran erinnert, daß er mit seinem Examen in Physik und einer hervorragenden Dissertation, in der er die Genauigkeit der Datierung bronzezeitlicher Keramik mit Hilfe von Thermolumineszenz in Frage stellte, das Recht hatte, so ernst genommen zu werden wie jeder andere Wissenschaftler auch. Und von Cathy hatte er gelernt, sich gegen die Spötter zu wehren.
›Mach dir nichts daraus, Danno‹, sagte sie immer wieder. ›Stürze sie von ihrem hohen Sockel, aber mit Beweisen.‹ Die Herausforderung hatte in
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