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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Schwester Immaculata glaubte, ich würde mich über sie lustig machen. Zur Strafe mußte ich mich vor der Klasse auf einen Hocker stellen. Sie hängte mir ein Schild um den Hals, auf dem
    ›Sünderin‹ stand. Sie erklärte, ich müsse dort stehenbleiben, bis ich etwas Respekt gelernt hätte, und der Unterricht ging weiter. Die Kinder kicherten und flüsterten miteinander. Ich fing an zu weinen. Dann merkte ich, daß ich zur Toilette mußte, aber ich hatte schreckliche Angst, etwas zu sagen. Also versuchte ich, es zu halten. Nach einer Weile konnte ich nicht mehr, und es fing an, mir an den Beinen hinunterzulaufen. Die anderen Kinder hörten nicht mehr auf zu lachen. Plötzlich aber wurden sie still. Das machte die Sache für mich noch schlimmer. Schwester Immaculata warf mir vor, das alles absichtlich getan zu haben. Sie zerrte mich vom Hocker, schimpfte mich aus und schleppte mich in das Zimmer der Oberin.« Catherine schlug die Hände vor das Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis sie weitersprechen konnte.
    »Die Schulschwester kümmerte sich um mich, während die Oberin bei mir zu Hause anrief. Meine Mutter war auf einer Tagung, aber mein Vater war zu Hause, das heißt, in dem College, wo er unterrichtete. Er versprach, mich um die Mittagszeit abzuholen. Also saß ich mit dem ausgewaschenen Unterhöschen in einer Plastiktüte im Zimmer der Oberin und wartete auf meinen Vater.«
    Catherine starrte blicklos vor sich hin. Ihre Stimme war kaum noch zu hören.
    »Es wurde Mittag. Die Zeit verging, und er kam nicht. Nachmittags riefen sie meinen Vater noch einmal an und hinterließen eine Nachricht. Dann war die Schule aus. Die Kinder gingen nach Hause, die Schwestern verließen die Klassenräume, und die Frau des Hausmeisters fing an, den Fußboden zu putzen. Die Schulschwester fuhr mich schließlich nach Hause. Mein Vater war da. Er sagte, er habe den Anruf vergessen. Er wollte nicht einmal wissen, was geschehen war. Er verschwand sofort wieder in seinem Arbeitszimmer, und damit war die Sache für ihn erledigt.«
    Catherine stand auf und betrachtete die dünne Eisschicht im Vogelbad. In der Kirche begann die Messe.
    »Die Kirche bedeutete meinem Vater alles«, sagte sie. »Er war eine Art Mönch. Er hätte nie ein Kind haben sollen. Er war nicht zum Vater geschaffen.«
    »Die Kirche bedeutete Ihrem Vater mehr als Sie. Sind Sie deshalb böse auf ihn?« fragte Garibaldi, der hinter ihr stand. Catherine drehte sich herum. »Gott bedeutete ihm mehr als ich. Vater Garibaldi, ich habe Gott nicht wegen Vater McKinney verflucht oder deshalb, weil meine Mutter ohne den Beistand eines Priesters sterben mußte. Ich habe Gott verflucht, weil mein Vater Gott mehr liebte als mich. Gott hätte er nicht mit einer nassen Unterhose im Zimmer der Oberin sitzenlassen!« Sie stieß die Luft aus. Garibaldi schwieg, und Catherine sprach etwas ruhiger weiter.
    »Die Kinder in der Schule waren danach schrecklich zu mir. Sie können sich vorstellen, welche Schimpfnamen sie für mich hatten. Wenn Danno nicht gewesen wäre…«
    »Haben Sie Ihrer Mutter nie etwas davon gesagt?« Catherine stand auf. »Wie konnte ich? Sie betete meinen Vater an… und als er starb, war ich voller Zorn, weil wir diese Sache nie bereinigt hatten. Ich wartete immer darauf, daß ich älter und reifer sein würde, um mit ihm darüber zu reden. Aber dann kam er ums Leben, und daran war meine Mutter schuld, weil sie trotz des Verbots Bücher schrieb, die die Kirche angriffen und meinen Vater aus dem Haus trieben!«
    »Deshalb führen Sie die Arbeit Ihrer Mutter weiter – eine Arbeit, die Ihren Vater aus dem Haus und schließlich in den Tod getrieben hat?«
    Catherine sah ihn erschrocken an. »Sie glauben, ich hätte die Schriftrollen an mich genommen, um meinen Vater auf eine hinterlistige Art zu bestrafen?«
    »Auf ihn sind Sie doch böse, oder nicht? Ihm können Sie nicht vergeben.«
    Catherine blickte auf ihre Hände und sagte leise: »Man hat ihn beschuldigt, ein Spion zu sein. Er hat es nicht einmal geleugnet. Er hat keinen Finger zu seiner Verteidigung gerührt. Er hat es hingenommen, daß man ihm eine Kapuze über den Kopf zog und ihn hinrichtete. Als man mir am Flughafen seine Leiche ü-
    bergab, wollte ich den Sargdeckel abnehmen und von ihm eine Erklärung dafür verlangen, daß er mich an jenem Tag nicht abgeholt hatte. Ich wollte unbedingt wissen, ob er nicht gekommen war, weil ich ihm so wenig bedeutete.«

    »Sie sind böse auf ihn, weil er hingerichtet

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