Die Prophetin
eingemeißelten Worte: »Dormit in pace anima dukis Amelia –
Ruhe in Frieden, Amelia mit der zarten Seele.«
Sie blickte auf Michael. Sein Gesicht verriet deutlich die innere Spannung. Wenn sich die siebte Schriftrolle hier befand, dann mußte sie eine für die damalige Zeit gefährliche Botschaft enthalten. Amelia sollte sie nur dann mit ins Grab nehmen, wenn sie verfolgt wurde. Ihre Verfolgung konnte nur eines bedeuten. Ihre Feinde bekämpften die Wahrheit dessen, was in der Rolle geschrieben stand. Catherine musterte ihre beiden Begleiter in den schwarzen Soutanen, den Symbolen der Priesterwürde. Würden sie bald ihr Amt verlieren oder es mit Frauen teilen müssen? »Also gut«, sagte Michael, »sehen wir nach, wie wir den Sarkophag öffnen können.«
Hinter ihnen, ein paar ›Straßen‹ weiter, im Schatten des Grabmals der Julia Mater, einer anderen Christin, stand Zeke und beobachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung. Er griff nach dem Handy und meldete sich wie verabredet. Zehn Zeitzonen weiter zog sich sein Auftraggeber von dem Fest aller Feste aus dem Europa-Zelt zurück und eilte hinunter in sein Museum. Er betrat das Steuerzentrum der Überwachungsanlage. Die gepanzerte Schleuse schloß sich geräuschlos hinter ihm. Er setzte sich vor die Wand mit den Schaltrelais und nahm den Anruf aus Rom entgegen. Diesmal hatte er dafür gesorgt, daß Zeke keinen Schritt ohne seine Anweisungen machen würde, denn jetzt ging es ums Ganze!
»Sancta Maria, ora pro nobis…«
Das Singen verstummte, und sie hörten Klatschen, Jubel und Geschrei.
»Was ist das?« fragte Catherine.
Michael hob den Kopf. »Ich glaube, Seine Heiligkeit ist gerade auf den Balkon hinausgetreten.«
Plötzlich war das Mausoleum in blendend helles Licht getaucht. Catherine stieß einen Schrei aus, als eine hagere Gestalt auftauchte – ein Kardinal in einem schwarzen Talar mit rotem Besatz, roten Knöpfen, einer breiten roten Seidenschärpe und einem roten Käppchen auf den schütteren Haaren. Auf seiner Brust funkelte an einer langen Kette ein schweres Goldkreuz. Catherine sah Michael fragend an. Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »Nein, ich habe nicht…«
»Nein, Dr. Alexander«, sagte Kardinal Lefevre, und seine Stimme hallte in dem unterirdischen Grab. »Vater Garibaldi hat mich nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie hierherkommen würden. Um genau zu sein…«, er warf Michael einen strengen Blick zu, »habe ich seit ein paar Tagen überhaupt nichts mehr von Vater Garibaldi gehört.«
»Sie sind selbst darauf gekommen?« fragte Catherine. »Und wie ist es Ihnen gelungen, das Rätsel zu lösen, wenn ich fragen darf?«
»Die Lösung des Rätsels kann ich mir nicht zugute halten. Ein Anruf, ein Tip, wie Sie sagen würden, hat mich darauf aufmerksam gemacht. Das hier ist Ehrwürden Callahan, vom Ufficio Scavi.«
Ehrwürden Callahan wirkte abweisend und verärgert. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen auf Vater Sebastian. »Wollen Sie uns daran hindern?« fragte Catherine herausfordernd. Sie musterte die vier jungen Männer, die ihn begleiteten; sie gehörten zur Cohors Helvetica, der Schweizergarde, die vor fünfhundert Jahren zum Schutz des Papstes aufgestellt worden war. In ihren Uniformen mit Piken und Hauberken, den Halskrausen, Wamsen, gestreiften Hosen und den Konquistador-Helmen wirkten sie eher wie Statisten auf einer Opernbühne, doch Catherine wußte, daß diese jungen Männer gut ausgebildet waren. Sie trugen Sprühdosen mit Tränengas, Gaspatronen und automatische Waffen bei sich. Catherine wußte auch, daß sie einen Eid abgelegt hatten, den Papst notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens zu beschützen.
»Dr. Alexander, bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß wir Ihre Freunde sind«, sagte der Kardinal. »Ich kann mich noch gut daran erinnern«, erwiderte sie, »Ihren Namen unter einem Brief an meine Mutter gelesen zu haben.«
»Eine bedauerliche Episode. Ich hatte es wirklich nicht soweit kommen lassen wollen. Wenn Sie mit mir irgendwann einmal darüber in meinem Büro sprechen möchten…«
»Sie werden die Schriftrolle aus dem Sarkophag der Amelia an sich nehmen, nicht wahr?«
»Wenn es sich um ein christliches Dokument handelt, ja, denn dann gehört es der Kirche.«
»Es gehört der ganzen Welt. Und ich werde dafür sorgen, daß die Welt liest, was in dieser Rolle geschrieben steht.«
»Das ist auch unser Wunsch. Wir ›verstecken‹ Schriftrollen nicht, wie Sie glauben. Wenn
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