Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
brennendem Blick sagte er: »Timothys Ansichten zur Lehre vom freien Willen sind höchst anregend.« Dann lachte er schallend.
»Genug«, sagte Chapuys.
»Was ist mit John Dudley – ich verstehe nicht, welche Rolle er spielt«, fuhr ich fort. »Er kann doch nicht im Dienst des Kaisers stehen.«
»Dudley hält Jacquard für einen kleinen Spitzel Cromwells, der er tatsächlich auch ist«, erklärte Chapuys. »Jacquard ist seit acht Jahren ein hochgeschätzter geheimer Kundschafter des Kaisers. Dank seinen Fähigkeiten konnte er sich dem Lordsiegelbewahrer so interessant machen, dass dieser ihn bereits drei Wochen nach seiner Ankunft in London angeworben hat.«
»Doch nicht, um mich zu bespitzeln?«, fragte ich entsetzt.
»Nein, ursprünglich nicht. Cromwell verteilt ja seine Spitzel überall, und Dartford ist ein Ort mit vielen Gasthäusern, wo sich durch Klatsch und Tratsch so manches in Erfahrung bringen lässt.« Chapuys zog ein Gesicht. »Aber nach Eurem Auftritt auf dem Tower Hill hat sich der Lordsiegelbewahrer natürlich erkundigt, wer Ihr seid, und dann Jacquard beauftragt, regelmäßig über Euch zu berichten. Uns kommt sein Interesse an Euch gar nicht entgegen. Es wird unsere Zusammenarbeit wesentlich erschweren.«
Die Worte unsere Zusammenarbeit hingen bedrohlich in der Luft.
»Wir dachten daran, Euch in Eurem nächtlichen Unternehmen in Canterbury gewähren zu lassen, aber es war zu gefährlich«, fuhr Chapuys fort. »Wir konnten nicht riskieren, dass man Euch töten oder festnehmen würde. Jacquard wusste, dass Ihr mit denMönchen zusammen etwas vorhattet und dass es mit Canterbury zu tun hatte. Er alarmierte den Constable, Geoffrey Scovill, in der Hoffnung, dass dieser Euch davon abhalten würde. Unglücklicherweise hat er das nicht getan. Und er hat Stunden verstreichen lassen, bevor er Jacquard von Eurem Aufbruch unterrichtete. Wir verloren wertvolle Zeit. Dudley wurde vom Plan Eurer Gruppe in Kenntnis gesetzt, jedoch unter der Bedingung, dass er Euch und Bruder Edmund von den anderen trennt. Jacquard und ich haben dann hier auf Euch gewartet. Die Mönche sind ins Gefängnis von Canterbury gebracht worden – sie werden den Preis bezahlen müssen.«
»Nein, das darf nicht sein«, rief ich. »Könnt Ihr ihnen nicht helfen?«
»Sie werden gefangen gesetzt, aber ich rechne nicht damit, dass man sie hinrichten wird – und es wird kein Gerichtsverfahren geben«, sagte Chapuys. »Der König wird die Spannungen mit den katholischen Ländern nicht weiter verschärfen wollen. Seine Übergriffe auf den Schrein des heiligen Thomas Becket und die heiligen Stätten Englands sind der Grund für die Exkommunikation.«
Ich verstand immer noch nicht, warum Dudley sich überhaupt zu Milde mir und Bruder Edmund gegenüber herabgelassen hatte.
»Ich habe ihm erklärt, dass meine Leute Euren Plan aufgedeckt hätten und ich Euch um des Andenkens Eurer spanischen Mutter willen vor Strafe bewahren möchte«, sagte Chapuys auf meine diesbezügliche Frage. »Und ich habe ihm die höchste Summe bezahlt, die ich in diesem Land je jemandem habe zukommen lassen. Dudley, der Sohn eines Verräters, ist ein Mann, bei dem man mit Geld alles erreichen kann. Cromwell und der König werden nur von sechs Mönchen hören, die die Kathedrale von Canterbury überfallen haben.«
»Wir durften Euch hier in St. Sepulchre Dudleys wegen nicht zu sanft behandeln«, bemerkte Jacquard. »Er hasst Euch von Herzen. Ihr besitzt zweifellos eine Begabung dafür, die mächtigsten Leute gegen Euch aufzubringen.«
Ich wandte mich wieder Chapuys zu. »Was hat der König mit den Gebeinen des heiligen Thomas vor? Dudley hat behauptet, was wir gehört haben, wäre gelogen. Aber ich glaube ihm nicht.«
Chapuys überlegte einen Moment. »Es ist wahr, dass dem König diese Verehrung Beckets, eines Kirchenmannes, der einst seinem König so unerschrocken Widerstand geleistet hat, schon lange ein Dorn im Auge ist. Soweit ich unterrichtet bin, sollten seine Leute den heiligen Schrein aus der Kathedrale entfernen und nach London bringen. Was damit weiter geschieht, weiß nur der König selbst, und er ist, wie Ihr wisst, unberechenbar.«
Norfolks Behauptung war also in der Tat eine Lüge gewesen. Wie hatte ich nur so dumm sein können, ihm zu glauben?
»Ich kann verstehen«, bemerkte Chapuys, »dass fromme Katholiken sich angesichts solcher Umstände getrieben fühlen, ihren Glauben zu verteidigen. Ganz gleich was der König weiter vorhat, diese
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