Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
unmenschlicher und grausamer. Er muss abgesetzt werden.«
Ich sehe viele Schiffe. Sie segeln nach England. Das waren Orobas’ Worte gewesen.
»Wenn eine Invasion bevorsteht, wird das ganze Land voller Soldaten und Waffen sein«, sagte ich. »Wie könnte ich da irgendetwas ausrichten?«
Chapuys schüttelte den Kopf. »Juana, Ihr habt das Gehorsamsgelübde der Dominikaner abgelegt, des höchstgeachteten Ordens in Spanien, Frankreich, Italien – überall. Es bedeutet nichts, dassdieser englische König Euer Kloster aufgelöst hat. Ihr müsst uns Gehorsam leisten. Dieses Gelübde kann nicht gebrochen werden!«
Ich holte tief Atem, bevor ich ihm erwiderte: »Ich wollte diese Rolle nie haben; ich habe seit meinem siebzehnten Lebensjahr gegen sie gekämpft und habe durch sie Schreckliches erfahren. Ich kann mich nicht von diesen Sehern, von diesen fremden Mächten leiten lassen. Ihr wollt mir nichts über diesen Mann sagen, trotzdem soll ich England verlassen? Das ist zu viel verlangt.«
Chapuys kehrte an seinen Platz hinter dem Tisch zurück. Er schenkte sich Wein ein. Den Becher in der Hand, sah er Jacquard an, der eine ganze Weile nichts gesagt hatte. Ich hatte den Eindruck, dass etwas zwischen ihnen vorging, dass sie stillschweigend einen Beschluss fassten.
Der Botschafter trank von seinem Wein, dann sagte er mit wiedergewonnener Gelassenheit: »Nichts muss sofort entschieden werden. England hat ein Embargo gegen Flandern und den Rest des Kaiserreichs verhängt. Es wird Monate dauern, um die nötigen Papiere für die Reise zu beschaffen. Wir werden also auf jeden Fall mit den Vorbereitungen beginnen. Wenn alles arrangiert ist, werdet Ihr vielleicht anderen Sinnes geworden sein.«
»Darauf solltet Ihr nicht zählen«, entgegnete ich. »Ich wüsste nicht, was mich zu so einer Sinneswandlung veranlassen sollte.«
»Wollt Ihr nicht im Andenken an Eure Mutter, die eine treue Tochter Spaniens war, diese Möglichkeit wenigstens offenhalten?«, drängte Chapuys.
Meine Mutter. Woher konnte er wissen, dass sie selbst drei Jahre nach ihrem Tod noch Macht über mich besaß wie sonst niemand? Ich hatte immer das Gefühl gehabt, sie enttäuscht zu haben. In ihren Augen hatte ich in allem versagt. Ich war aus den Diensten der Königin geflohen, ich hatte nie geheiratet. Sie hatte nicht mehr miterlebt, dass ich Katharina von Aragón auf ihrem Sterbebett gepflegt hatte und später ins Kloster eingetreten war. Vielleicht hätte das sie endlich stolz auf mich gemacht.
»Es tut mir leid«, sagte ich unglücklich. »Aber das kann ich nicht.«
Chapuys blieb ruhig. »Gut, Juana. Wir werden dafür sorgen, dass Ihr nach Dartford zurückgeleitet werdet.« Er wandte sich Jacquard zu. »Veranlasst bitte, dass der Dominikanerbruder zu den anderen Mönchen ins Gefängnis von Canterbury überführt wird.«
»Nein, nein, nicht Bruder Edmund«, rief ich laut. »Könnt Ihr nicht Euren Einfluss geltend machen und ihn ebenfalls auf freien Fuß setzen?«
Chapuys seufzte. »Selbst wenn das möglich wäre, Juana, kann ich nicht riskieren, dass Ihr ihm von unseren Plänen und von der Existenz des dritten Sehers berichtet. Ich weiß, dass Bruder Edmund Sommerville Euch nahesteht.«
»Ich sage nichts – bestimmt nicht«, versicherte ich. »Das verspreche ich Euch, und ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihre Versprechen brechen.«
Jacquard mischte sich ein. »Ihr kennt die geheimsten Pläne des Kaisers. Ihr seid halb Spanierin und somit vertrauenswürdiger als die Engländer. Doch wenn Euer Bruder Edmund irgendetwas erfahren sollte – nur die geringste Kleinigkeit –, müsste er beseitigt werden.«
Beseitigt . Mit welcher Selbstverständlichkeit Jacquard dieses Wort gebrauchte.
Der Botschafter sagte: »Angenommen, ich würde für seine Freilassung sorgen, Juana, können wir uns dann darauf einigen, dass Ihr nicht nur absolutes Stillschweigen ihm gegenüber bewahrt, sondern zu gegebener Zeit, wenn der Plan reif ist, wenigstens in Erwägung zieht, Euren Platz darin einzunehmen?«
Nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit stimmte ich zu.
Wieder fiel mir dieser vielsagende Blickwechsel zwischen Chapuys und Jacquard auf.
»Aber wenn ich dann ablehne, muss es damit zu Ende sein«, stieß ich hervor. »Ihr könnt mich nicht zwingen. Das ist von Anfang an Teil der Prophezeiung gewesen.«
»Natürlich, Juana«, stimmte Chapuys zu. »Natürlich.«
Über den froststarren Feldern ging die Sonne auf, als ich zusammenmit Bruder Edmund das
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