Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Ende brannte hoch oben an der Mauer eine Fackel. Darunter stand Jacquard über Charles Adams gebeugt. Er hatte ihm soeben die Kehle durchgeschnitten.
Kapitel 43
»Glaubt Ihr denn, ich wollte diesen Jungen töten?« Jacquards schweißgebadetes Gesicht war wie versteinert. »Ich hatte keine Wahl.«
Er hatte mich in das Gasthaus zurückgezerrt. Die Tür zur Straße wurde geschlossen und abgesperrt. Einer der Männer, die uns begrüßt hatten, hielt mir den Mund zu, als ich zu schreien begann; ich hatte ihn nicht kommen hören. Ehe ich weggezogen wurde, sah ich, wie der andere Mann Charles Adams’ Leichnam wegschleifte. Sie waren alle Jacquards Kumpane von früheren Unternehmungen.
Die Frau mit dem traurigen Blick stellte Jacquard einen Becher hin, den er in einem Zug austrank.
»Warum?«, rief ich weinend. »Warum musstet Ihr das tun?«
Er zeigte mit dem Finger auf mich. » Ihr seid schuld. Hundertmal habe ich Euch eingebläut, dass Ihr den Mund halten sollt, und dann erzählt Ihr ihm, kaum dass wir eine Stunde auf dem Schiff sind, dass Ihr aus Dartford kommt.«
Ich starrte ihn fassungslos an.
»Ja, ja, ich habe Euch mit ihm schwatzen sehen. Da habe ich natürlich versucht, herauszubekommen, was genau Ihr ihm erzählt habt.« Jacquard winkte der Frau, ihm noch etwas zu trinken zu bringen.
»Aber ihn gleich zu töten – das hättet Ihr nicht zu tun brauchen«, rief ich.
Jacquard schlug mit der Faust auf den Tisch. »Gardiner ist hinter Euch her. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann er dahinterkommt, dass Ihr Euch nicht mehr in Hertfordshire aufhaltet – vielleicht auch, dass Ihr nie dort gewesen seid. Und wenn er erfährt, dass ich mit diesem Schiff nach Antwerpen gereist bin, wird er sich ganz gewiss für meine Ehefrau interessieren. Natürlich wird er nachforschen, wer sonst noch an Bord war, und die Leute befragen. Und Ihr habt Adams erzählt, dass Ihr aus Dartford kommt. Nicht Derbyshire – Dartford. Wie konntet Ihr so dumm sein?«
Ich schluchzte, die Hände vors Gesicht geschlagen, von Schuldgefühlen und Schmerz über den Tod dieses liebenswürdigen jungen Mannes überwältigt.
»Hört auf damit!«, fuhr Jacquard mich an. »Ich ertrage dieses Geflenne nicht. Nehmt Euch endlich zusammen. Wir gehen jetzt zu Chapuys.«
»Nein«, widersprach ich. »Für mich ist die Sache hier beendet. Es hat schon zwei Tote gegeben – ich kann die Last dieser Sünden nicht tragen, die um meinetwillen begangen wurden. Es gibt keine Buße, die mich von dieser Schuld befreien kann.«
Jacquard stand auf. »Entweder Ihr geht jetzt mit mir zuChapuys, oder ich werfe Euch gefesselt und geknebelt auf einen Wagen und lasse Euch hinfahren. Ihr habt die Wahl.«
Auch ich stand auf. Auf die Rückenlehne meines Stuhls gestützt, beugte ich mich vor. »Also gut«, sagte ich, »ich gehe. Aber danach wird nur geschehen, wofür ich mich aus freiem Willen entscheide – vergesst das nicht.«
Einen Moment sagte er gar nichts; ich sah ihm an, dass er Mühe hatte, sich zu beherrschen. »Ich werde es nicht vergessen«, sagte er schließlich. »Wenn Ihr nicht wollt, kann Euch niemand zwingen, das ist wahr. Ich möchte allerdings sehen, wie Ihr ohne meine Hilfe oder die des Botschafters nach England zurückkommen wollt. Ihr habt kein Geld, und Eure Papiere sind Fälschungen.«
Er machte eine Pause, um das wirken zu lassen. »Redet mit Chapuys, bevor Ihr eine Entscheidung trefft.«
Jacquard sprach zuerst mit Chapuys, unter vier Augen. Danach empfing Chapuys mich, ebenfalls allein. Ich wurde in ein Zimmer mit holzgetäfelten Wänden geführt, überladen mit Büchern, Gemälden und wertvollen Kunstgegenständen.
Die scharfen Züge des Botschafters wurden milde, als er mich betrachtete. »Ihr habt sehr viel gelitten, Juana«, sagte er. »Das tut mir leid.« Er führte mich an einen mit Speisen und Getränken gedeckten Tisch.
»Ich bin nicht hungrig.«
Chapuys drängte mich zu essen. »Ihr dürft uns nicht krank werden.«
»Weil Ihr mich braucht«, sagte ich bitter. »Ihr behandelt mich nicht anders als der Bauer sein Mastschwein, das er hegt und pflegt bis zu dem Tag, an dem es geschlachtet wird.«
»So denkt Ihr von mir?«, fragte er ruhig.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, rief ich heftig. »Mein Weg zu den Sehern ist von Sünde und Tod gezeichnet. Ihr und die anderen erwartet von mir, dass ich dem Bösen Einhalt gebiete. Doch mit jedem Schritt erzeuge ich Böses. Ich habe geschworen, alles zu tun, was in meiner Macht steht,
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