Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
widerstehen.
Tage und Wochen vergingen. Ich fühlte mich oft todmüde und orientierungslos. Meine Glieder schmerzten. Ich weinte viel. Dennoch hielt ich an meinem Entschluss fest. Jede Minute des Tages bat ich Gott, mir Kraft zu verleihen, und er half mir. Ich blieb standhaft.
Von draußen konnte ich die lauten Reden der Männer hören, selten allerdings vernahm ich Jacquards Stimme. Zu meiner Erleichterung sprachen sie auch von Nostradamus. Also lebte er noch, und ich war froh darüber. Seine Sehergabe war mir unheimlich, doch ich hatte bei dem französischen Apothecarius echtes Wohlwollen gespürt. Er war, wie ich, in Dinge hineingeraten, über die er keine Macht besaß.
Auf dem Gang gab es viele Beschwerden über Jacquard Rolin – über seine Schroffheit und seine Arroganz. Das überraschte mich nicht. Doch die Männer schienen auch zu fürchten, dass ihnen die Vorräte ausgehen würden. Die Stadt hatte uns offenbar unter Belagerung genommen. Wie lange noch, dachte ich, bevor sie uns aushungerten?
Die Antwort brachte mir Jacquard, der eines Tages mit einem Krug Wein in der einen Hand und einem Brief in der anderen in meiner Zelle erschien. Ich wusste, dass ich nach diesen langen Wochen der Gefangenschaft einen erbärmlichen Anblick bieten musste – doch er war auch nicht mehr so stattlich anzusehen wie zuvor. Sein Wams war zerdrückt, als hätte er darin geschlafen, und er machte sich nicht mehr die Mühe, seinen Schnurrbart zu stutzen.
»Joanna Stafford«, erklärte er, als er hereinkam, »es gibt etwas zu feiern. Die Kerle hier sind keine würdige Gesellschaft, darum bleibt nur Ihr. Aber schließlich sind wir ja verheiratet. Warum also nicht meiner Gemahlin einen Besuch abstatten, hm?«
Er schwenkte den Brief.
»Das hier kam heute durch ein Fenster geflogen. Chapuys hat offensichtlich einen geübten Bogenschützen aufgetan, dem es gelungen ist, in die Stadt einzudringen. Und nun habe ich natürlich allerhand Neuigkeiten für Euch.«
»Zum Beispiel?«, fragte ich.
»Ah, sie kann sprechen«, sagte er mit einem spöttischen Lachen. »Madame Rolin kann sprechen. So aufgeregt ist sie darüber, dass der Botschafter an uns gedacht hat. Eure Bewunderung für Eustace Chapuys rührt mich, Joanna.«
Ich beugte mich vor. »Redet schon.«
»Nun, zunächst einmal gibt es zu berichten, dass Kaiser Karl in seinem Zorn auf die Stadt Gent beschlossen hat, der Bitte seiner Schwester stattzugeben und mitsamt seinem Heer hierherzukommen, um die Aufrührer persönlich zu bestrafen. Er hat den König von Frankreich in aller Form gebeten, ihm die Durchreise zu gestatten. Wir befinden uns ja hier nahe der französischen Grenze, wie Ihr wisst. Da ist dieser Weg für ihn natürlich der kürzeste.«
»Dann kommen wir frei«, sagte ich. »Wann?«
»Vielleicht schon im Januar.« Er nahm einen tiefen Zug aus dem Weinkrug. »Doch es gibt eine kleine Schwierigkeit. Königin Maria, die Statthalterin, hat auf Bitten des englischen Königs Anna von Kleve die Erlaubnis erteilt, über die Spanischen Niederlande nach England zu reisen. Sie wird schon sehr bald mit ihrem deutschen Hofstaat aufbrechen – vielleicht ist sie sogar schon unterwegs.«
Ich beobachtete Jacquard scharf. Es schien für mich keine Möglichkeit zu geben, England vor Anna von Kleve zu erreichen. Ich hoffte aus tiefstem Herzen, dass dieses Mordkomplott gegen Heinrich VIII. aufgegeben und mir gestattet würde, Gent zu verlassen, sobald der Kaiser hier eintraf, damit ich irgendwie die Scherben meines früheren Lebens wieder zusammenfügen konnte.
»Nun haben wir hier die Anweisungen von Botschafter Chapuys«, fuhr Jacquard fort und strich mit der Hand beinahe zärtlich über den Brief. »Der Plan ist variationsfähig: Die erste Variante sieht vor, dass wir, Ihr und ich, mit Hilfe von Ablenkungstaktik versuchen, so bald wie möglich aus dieser Burg zu entkommen, um auf dem schnellsten Weg nach London zu reisen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das kommt für mich nicht in Frage. Ich kann Euch versprechen, dass es Euch äußerst schwerfallen wird, eine ›Ehefrau‹ aus den Niederlanden hinauszuschleppen, die Euch auf Schritt und Tritt Knüppel zwischen die Beine werfen wird.«
Jacquard legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke hinauf. »Mit dieser Einstellung von Euch haben wir gerechnet. Trotzdem hatte ich gehofft, Ihr würdet vernünftig sein.«
»Wie sieht die zweite Variante aus?«, fragte ich.
»Die Venezianer haben uns den Kelch sehr schnell
Weitere Kostenlose Bücher