Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Bruder Edmund war mitten in der Nacht aus dem Zimmer geflohen, um nicht der Sünde anheimzufallen, während ich einen Traum hatte, der mir heute noch nachging. Es versteht sich, dass wir diese Nacht niemals erwähnten.
»Es hat zu regnen aufgehört«, sagte ich zu Schwester Beatrice, »da müssen wir ohnehin hinaus. Arthur braucht Bewegung.«
Das Amt für Bauwesen war oben in der High Street auf dem Weg zu der großen Straße, die London mit der Küste Kents verband. Unterwegs blieben wir immer wieder stehen, um Arthur in die Pfützen springen zu lassen. Ich musste dafür sorgen, dass er seine überschüssigen Kräfte austobte, bevor wir das Amt betraten. Das Kopfschütteln der Leute versuchte ich nicht zu beachten. Viele mochten seine kindliche Ungebärdigkeit nicht.
Endlich angekommen, klopfte ich an die glänzende, neue Tür. Das Amt war erst vor sechs Monaten geschaffen worden. Alle größeren Erwerbungen liefen über dieses Amt, in erster Linie jedoch war es zur Förderung und Unterstützung des größten Bauvorhabens eingerichtet worden, das Dartford seit mindestens einem Jahrhundert gesehen hatte: der Errichtung eines Herrschaftshauses für König Heinrich VIII. auf den Trümmern des Klosters.
Als uns die Tür geöffnet wurde, fiel mir noch ein Grund dafürein, warum Schwester Winifred nicht gewünscht hätte, mich zu begleiten. Gregory, einst der zuverlässige Pförtner von Kloster Dartford, jetzt Oberschreiber beim neuen Amt, ließ uns ein.
»Wir waren schon gespannt, ob Ihr heute kommen würdet«, bemerkte er brummig.
Anders als meine Mitschwestern nahm ich es Gregory nicht übel, dass er diesen Posten angenommen hatte und nun seine genaue Kenntnis des Klosters in den Dienst derer stellte, die es zerstört hatten. Alle unsere ehemaligen Bediensteten mussten sehen, wie sie ohne Rente zurechtkamen. Und bezahlte Arbeit gab es in Dartford nur im Zusammenhang mit dem Bau des neuen königlichen Landsitzes. Zwar waren die meisten aufgelösten Klöster treuen Männern der Krone zum Geschenk gemacht worden, Kloster Dartford jedoch behielt König Heinrich für sich, nicht ohne es zuvor dem Erdboden gleichgemacht zu haben.
»Ja, ich bin hier, um meinen Webstuhl abzuholen«, erwiderte ich.
Er wandte sich an einen Untergebenen. »Sag Jacquard, er soll sich um den Transport kümmern.«
Ich zuckte innerlich zurück. Niemand wäre mir als Helfer weniger willkommen gewesen als Jacquard Rolin, ein Mann aus den Niederlanden, der eigens geholt worden war, um die Materialbestellungen zu beaufsichtigen. König Heinrich bevorzugte in seinen Häusern Ausstattungen in französischer und flämischer Manier, und Jacquard wusste das Neueste an Fliesen, Möbeln, Fensterglas und Tapisserien in dieser Art zu beschaffen. Sein lebhaftes und beständiges Interesse an meinen Plänen zur Eröffnung einer Tapisseriewirkerei hätte mich freuen können, doch uns trennten Welten: Er war, so hatte ich gehört, Protestant, ein überzeugter Anhänger Luthers.
Arthur, der an meiner Seite stand, wurde unruhig. Ich nahm ihn fester bei der Hand und hoffte, er würde die Abwicklung der Geschäfte hier nicht stören.
Plötzlich flog die Tür auf, und Mrs Brooke drängte sich herein.
»Was habt Ihr denn hier zu tun?«, fragte ich.
»Was ich hier zu tun habe?« Ihr Ton war entrüstet. »Mein Mann wurde vom König beauftragt, die Anwerbung von Männern zur Errichtung seines neuen Landhauses in Dartford zu beaufsichtigen.«
Gregory nickte bestätigend, während sie schon mit lauterer Stimme hinzufügte: »Eher sollte ich wohl fragen, wie Ihr dazu kommt, die Leute hier von ihrer Arbeit abzulenken.«
»Miss Joanna Stafford ist hier, um ihren Webstuhl zu holen.« Es war eine kultivierte Stimme mit fremdländischem Klang. Jacquard Rolin trat neben Gregory. Er war jung und eher schmächtig, und ich fand ihn immer irgendwie beunruhigend. Um seinen Mund lag ein anzügliches Lächeln. Die Augen waren groß, von einem samtigen dunklen Braun mit lichten Sprenkeln. Ein Blick, der blendete. Mich jedoch beschlich bei diesem Blick ein unerklärliches Unbehagen.
»Websul, Websul«, krähte Arthur.
»Und woher«, fragte Mrs Brooke spitz, »sollte ein Mädchen aus dem Kloster die Mittel haben, einen Webstuhl zu erwerben?«
»Das geht Euch gar nichts an«, wies ich sie zurecht.
Gregory zuckte ein wenig zusammen, und Jacquards Gesichtszüge bekamen etwas Angespanntes. Flüchtig fragte ich mich, wieso dieser Streit Jacquard kümmern sollte.
»Websul!
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